Endlich hat´s geklappt. Die FDP hat ihr Wahlkampfthema gefunden. Nicht gerade exklusiv, weil nahezu alle Parteien über Nacht dieses Thema auch für sich entdeckt haben. Aber dass die FDP einmal nicht ihre Wunschklientel der Besserverdiener mit den Gesetzen des freien Marktes gegen alle potentiellen Mitesser verteidigt, sondern durch ihren Spitzenkandidaten die Absicht kund tut, zumindest den Markt der Managergehälter nach Schweizer Vorbild mit regulatorischen Maßnahmen gesellschaftskonform einschränken zu wollen, verdient schon ein wenig mehr Beachtung, als es Politikerphantasien gemeinhin tun.

„Wir können auch in der Koalition noch vor der Bundestagswahl hier Zeichen setzen“, schwärmt Rainer Brüderle – in der sicheren Gewissheit, dass den deutschen Wähler nicht weniger als den Schweizer Stimmbürger eine heilige Wut packt, wenn er von den zweistelligen Millionenbeträgen hört, die sich auch und gerade in Zeiten der weltweit enger geschnallten Gürtel einige unserer Wirtschaftslenker wieder einmal als Jahressalär genehmigt haben. Dass VW-Chef Martin Winterkorn keine Notwendigkeit sieht, dem Nachbarland nachzueifern („Die Schweiz ist die Schweiz, und Deutschland ist Deutschland“) und stattdessen ankündigt, von den ihm für 2012 zustehenden 17,4 Millionen in sympathischer Bescheidenheit 6 Millionen nicht in Anspruch nehmen zu wollen, braucht den toughen Wahlkämpfer nicht zu schrecken. Die Geste rührt, wird aber mangels Kontakt zu den Normalverhältnissen den angestrebten Besänftigungseffekt verfehlen. So geht der FDP-Mann wohl zu Recht davon aus, dass sich der kontinuierlich anwachsende Volkszorn über die geradezu obszöne Selbstbedienungsmentalität gewisser Spitzenkräfte bei geschickter Indienstnahme der Reizworte in Wählerstimmen ummünzen lassen müsste (Schweizer Vorbild: Abzocker-Initiative!). Eine Gesetzesänderung noch vor der Wahl im September, so Brüderle mit ungewohnter Interventionslust, sei durchaus möglich. Schon am kommenden Wochenende soll ein entsprechender Antrag auf dem Parteitag beschlossen werden.

Das Ziel der Gesetzesänderung scheint klar: Deckelung der Managergehälter und – Vorbild Schweiz – wohl auch ein Verbot von golden handshakes zur Begrüßung und golden parachutes zur Versüßung des Abgangs. Der Weg zu diesem Ziel wird mit großer Geste angedeutet: „Wir waren immer dafür, dass die Eigentumsrechte gestärkt werden. Und die Eigentümer sitzen in den Aktiengesellschaften in der Hauptversammlung und nicht im Aufsichtsrat.“ Da hat er recht, der Brüderle, in beiden Punkten. Also lautet die Partei-Devise: Stärkung der Aktionärsrechte, was sogar die ehemals wirklich liberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einleuchtend findet und ankündigt, prüfen zu wollen, ob und wie –entsprechend der Schweiz – auch die deutschen Aktionäre eine Stärkung in puncto Salärhoheit verdienen.

Was aber auf den ersten Blick so einleuchtend scheint (und mit Volkes Stimme so wunderbar harmoniert: eine RTL-Blitzumfrage ergab 95 % Zustimmung), verliert bei näherer Betrachtung viel von seinem revolutionären Charme. Jeder, der einmal (zumal in Krisenzeiten) die Hauptversammlung eines großen Konzerns besucht hat (und nur um die Großen geht es bei der Gehälterdebatte), kennt das sonderbare Phänomen: Wütende Aktionäre attackieren unter dem Beifall der überwältigenden Mehrheit der Anwesenden das Management, das sich – für einmal demütig – die Beschimpfungen mit versteinerter Miene anhört, um dann, wenig überrascht, die Resultate der Schluss-Abstimmungen zur Kenntnis zu nehmen, in denen die Bestätigungen und Entlastungen meist mit geradezu sozialistischen Ergebnissen erfolgen. Dem Verwaltungsrat von Novartis zum Beispiel, verantwortlich für die 72-Millionen-Abgangsentschädigung für den Präsidenten Vasella, welche die Helvetier noch zwei Wochen vor der Abstimmung über die Abzocker-Initiative landesweit zum Kochen gebracht hatte, verweigerten genau 5,1 % der „Eigentümer“ die Entlastung. Der arglose Beobachter hätte nach den erregten Debatten in der Basler Versammlungshalle wohl eher auf 95 % getippt.

Wie erklärt sich dieses Rätsel? Haben die soeben noch aufgebrachten Aktionäre verziehen? Haben sie nur einmal Dampf ablassen wollen, um dann am großzügig angerichteten Buffet munter auf das kommende Geschäftsjahr anzustoßen? Keineswegs. Es wird zwar angestoßen (das denn doch!), dies aber unversöhnt. Bloß ist die weiterhin andauernde Empörung folgenlos, weil in den Hauptversammlungen (auch wenn noch so große Räumlichkeiten für ein paar tausend Aktionäre angemietet werden) nicht die Summe der Köpfe, sondern die Summe des Kapitals zählt. Noch so viele Kleinanleger können die Abstimmungs-Mehrheit der großen institutionellen Anleger (anwesend nur durch einen Bevollmächtigten) nicht gefährden. Sie ticken ganz anders als die Inhaber von 20 VW- oder Novartis-Aktien. Sie haben die Erfolgsaussichten ihres Investments im Blick und rechnen kühl, dass auch die opulentesten Managergehälter das Unternehmensergebnis nur im untersten Prozentbereich berühren, dass es aber (so jedenfalls die bislang nicht wiederlegte Theorie) existentiell werden könnte, wenn es nicht gelingt, dem Unternehmen die weltweit besten Köpfe zu sichern. Ob dies wirklich stimmt, weiß niemand. Aber eine gewisse Plausibilität hat es schon, dass der begehrte Inder, der in Amerika 20 Millionen verdient, nicht nach Deutschland kommt, wenn ihm dort nur 2 Millionen (und der Verlust der bisher erworbenen Pensionsansprüche) winken (im Fußball ist übrigens eine ganz ähnliche Logik am Werk, obwohl auch da niemand wusste, ob Ronaldo wirklich die 93 Millionen wert war, die Real Madrid für seine Ablösung bezahlt hat).

Konsequenz dieser Logik wird also sein, dass aus dem bunten Strauss der Rechtsfolgenvermeidungsstrategien (vulgo: Umgehung) die passenden Blüten herausgezupft werden, auf dass auch künftig die Manager keinen Mangel leiden. Im Falle Vasella hört man, dass er auf seine 72 Millionen verzichtet hat (sie hätten für ein höchst fragwürdiges Konkurrenzverbot und künftige Beratung gezahlt werden sollen). Zufriedenheit über diesen Erfolg der öffentlichen Brandmarkung ist dennoch nicht angebracht. Es wird, wie man hört, bereits ein neuer Vertrag ausgehandelt, der das Konkurrenzverbot ausspart und stattdessen die Beratungstätigkeit stark macht. Und ganz allgemein ist davon auszugehen, dass die Schweizer Lösung, welche (wie übrigens auch der kleine europäische Vorstoß) sich auf die außerordentlichen Zahlungen (Boni u.ä.) konzentriert, zu einem sprunghaften Anstieg der Fixgehälter führen wird. Wer also die Mangergehälter beschränken will, muss sich mehr einfallen lassen, als die anvisierte Stärkung der Aktionärsrechte in der Hauptversammlung. Das wäre symbolische Gesetzgebung, und von der gibt es bereits genug. Als Alternativen bieten sich z.B. steuerrechtliche Lösungen oder aber ein gesetzlich festgelegtes Verhältnis von unterster und oberster Vergütung an – Vorschläge, bei denen der Teufel allerdings im Detail liegt und die auch nicht gerade Problemfreiheit in Aussicht stellen.

Was folgt daraus für den Wahlkampf der FDP? Vermutlich gar nichts! Ebenso wenig wie sich der Schweizer Wutbürger und Direktdemokrat um die recht hörenswerten Argumente gekümmert hat, die von der (freilich zum Teil selbst diskreditierten) Wirtschaft gegen die konkrete Ausgestaltung der Abzocker-Initiative ins Feld geführt wurden, dürfte sich das deutsche Wahlvolk für die komplexen Welten interessieren, die sich zwischen dem wohlfeilen Schlagwort von den zu stärkenden Aktionärsrechten und einer gerechten, leistungsorientierten und gesellschaftsverträglichen Entlohnungsstruktur auftun. Komplexität eignet sich nun einmal nicht für Wahlwerbung, so dass bestenfalls zu hoffen ist, dass der Wähler zur Kenntnis nimmt, dass zwar keine einzige der politischen Parteien, wohl aber ein anderer gesellschaftlicher Akteur gegen diese spezielle Art der Stärkung Front macht: Die Interessenvertretung der Aktionäre, die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), hat ausdrücklich gegen eine aufgedrängte Bereicherung via Verlagerung der Gehälterfrage in die Hauptversammlung Stellung bezogen. Das sollte den interessierten Kreisen doch zu denken geben!