Gastbeitrag von Jan Friedeborn: In Frankfurt am Main hat das Landgericht eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zur Räumung eines besetzten Hauses verurteilt. Ein anschauliches Beispiel für juristische Phantasie und die Vergeblichkeit, sie mit vernünftigen Argumenten in Schach zu halten.

Vergangene Woche ist in Frankfurt am Main das Institut für vergleichende Irrelevanz (IvI), das ehemalige, lange Zeit leer stehende Gebäude des Instituts für England- und Amerikastudien der Goethe-Universität geräumt worden. Im Dezember 2003 ist das Haus gegenüber dem alten Universitäts-Campus in Bockenheim von Studenten besetzt worden, um dort unter dem Motto „Theorie*Praxis*Party“ Veranstaltungen und Seminare abzuhalten und Feste zu feiern. Die Universitäts-Leitung hat die Besetzung neun Jahre lang geduldet. Schließlich wurde das Gebäude für den Spottpreis von einer Million Euro an den Immobilieninvestor Franconofurt AG verkauft. Letzte Woche ist das IvI dann geräumt worden.

Die Räumung erfolgte aufgrund eines Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main, das den Juristen aufmerken lässt. Denn die Anwälte der Franconofurt AG haben die Hausbesetzer kurzerhand zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) erklärt. Ein Räumungsurteil setzt voraus, dass die Klage dem Beklagten zugestellt wird. Der Immobilieninvestor war nun in der misslichen Lage, keinen Beklagten nennen zu können, weil die Hausbesetzer nicht namentlich bekannt waren. Deshalb wurden die Hausbesetzter kurzerhand zur GbR gemacht, und die Klage an diese zugestellt.

Eine ordnungsgemäße Klagezustellung ist eminent wichtig, weil die Klage erst damit rechtshängig wird. Über eine nicht rechtshängige Klage kann ein Gericht nicht entscheiden. Das leuchtet auch ein, denn ohne Zustellung ist nicht klar, wer Partei des Prozesses geworden ist. Rechtsstaatlich ist eine eindeutige Parteibezeichnung notwendig, damit der betroffene Beklagte weiß, dass er sich gegen eine Klage verteidigen muss.

Im Frankfurter Fall erschien zur Verhandlung auf Beklagtenseite niemand. Das ist auch nicht verwunderlich, denn es war für niemanden ersichtlich, wer Beklagter in dem Rechtsstreit war. Wenn der Beklagte aber nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint, ergeht nach 15 Minuten Wartezeit ein Versäumnisurteil gegen ihn. Ein Versäumnisurteil hat für den Richter den Charme, dass nach Antrag des Klägers entschieden wird, ohne dass dies begründet werden muss. Der Richter hat allerdings die Schlüssigkeit der Klage zu prüfen. Er muss sicherstellen, dass der Kläger alle Tatsachen vorgetragen hat, die – ihre Richtigkeit unterstellt – eine Verurteilung zur Räumung rechtfertigen. Diese Tatsachen gelten bei Säumnis des Beklagten als zugestanden. Rechtsfragen hingegen hat der Richter auch im Säumnisverfahren zu prüfen. In diesem Fall hätte also auch festgestellt werden müssen, ob die vom Kläger behauptete IvI-GbR rechtlich existiert. Und an dieser Stelle staunt der Laie und der Experte wundert sich. Denn das Gericht hat das Versäumnisurteil erlassen und damit implizit die Existenz der IvI-GbR anerkannt, ohne an der Entstehung via anwaltlichem Einfallsreichtum Anstoß zu nehmen, ja ohne diesem bemerkenswerten Entstehungstatbestand auch nur einen kritischen Blick zu gönnen. Für den Gesellschaftsrechtler ein Novum!

Eine GbR setzt einen Vertrag der Gesellschafter voraus. Immer erforderlich ist der Wille der Vertragsschließenden, rechtlich gebunden zu sein. Denn als Gesellschafter einer GbR haftet jeder Gesellschafter unmittelbar für alle Verbindlichkeiten, die diese eingeht. Schon der Wille, einen Vertrag mit Haftungsfolgen abzuschließen, erscheint bei Hausbesetzern fragwürdig.

Möglicherweise hat der Richter sich durch eine Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) verleiten lassen, die Klage kommentarlos für schlüssig zu halten. Seit 2001 lässt der BGH es nämlich zu, dass eine Außen-GbR (also eine GbR, die für Dritte erkennbar am Markt tätig wird) unter ihrem Namen verklagt werden kann. Das war damals eine kleine juristische Revolution. Die Klage kann sich seither gegen die „Peter Müller und Anja Meier GbR“ richten. Zuvor hatten die zu Verklagenden „Peter Müller und Anja Meier in Gemeinschaft bürgerlichen Rechts“ zu lauten. Das ist ein kleiner aber juristisch feiner Unterschied.

Der BGH hat mit dieser Rechtsprechung sicher nicht intendiert, dass GbRs anerkannt werden, bei denen gar keine Gesellschafter bekannt sind. Eine Personengesellschaft mit anonymen Gesellschaftern ist einigermaßen bizarr. Einer IvI-GbR, deren Mitglieder nicht bekannt sind, eine Klage zuzustellen, und mit einem Versäumnisurteil anzuerkennen, dass diese GbR rechtlich existiert, ist entweder genial oder volkommen daneben. Für Genialität spricht allerdings wenig.

Auch der Blick auf die Frage, welchen gemeinsamen Zweck eine Hausbesetzer-GbR verfolgen soll, hilft da nicht weiter. Die Hausbesetzung als solche ist rechtswidrig. Eine GbR kann allerdings – doch auch dieses bestechende Argument gegen eine IvI-GbR hat das Gericht unerwähnt gelassen – nur zu erlaubten Zwecken gegründet werden. Eine GbR, die zu einem unerlaubten Zweck gegründet wird, existiert rechtlich nicht. Die Besetzung eines Hauses ist zumindest strafbarer Hausfriedensbruch. Eine IvI-GbR mit solcher Zwecksetzung kann rechtlich nicht entstanden sein.

Das juristische Schauspiel geht aber weiter, denn das Landgericht Frankfurt hat mit seiner Erfindung der anonymen GbR auch noch ein prozessuales Anschlussproblem geschaffen. Gegen ein Versäumnisurteil kann Einspruch erhoben werden. Wenn aber nicht klar ist, wer Gesellschafter der GbR ist, ist völlig offen, wer Einspruch einlegen darf.

Die ganze Absurdität dieses Versäumnisurteils wird spätestens klar, wenn man überlegt, gegen wen das Urteil vollstreckt werden soll. Die IvI-GbR war Beklagte und ist damit zur Räumung verpflichtet. Eine GbR ist aber nur ein juristisches Konstrukt. Sie kann physisch kein Haus besetzen. Zwar haften die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der GbR. Sie müssen aber mitverklagt werden, wenn gegen sie vollstreckt werden soll. Eine GbR zur Räumung zu verurteilen schafft virtuelle Realitäten, die notwendig folgenlos bleiben müssen. Es käme wohl auch niemand auf die Idee, eine GmbH zur Räumung eines Hauses zu verurteilen. Es bleibt der Fantasie überlassen, wie ein Polizist eine GbR aus einem besetzten Haus tragen soll.

Ein Schelm, wer hier auf die Idee kommt, das Landgericht habe den juristischen Steigbügelhalter für den Immobilieninvestor Franconofurt geben wollen, und sich im Eifer des Gefechts vergaloppiert.