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Mitbringsel
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Vor einigen Tagen hatte ich Gäste. Ich habe gern Gäste. Sie beleben und belehren. Kleiner Aufwand, großer Gewinn. Außerdem bringen sie meistens etwas mit. Gastgeschenke.
„Mitbringsel“ sagt der Volksmund in der Pfalz zu dem Mitgebrachten. Ein guter Ausdruck. Er diminuiert das majestätische „Gastgeschenk“ und rückt den Wert, den Gast und Gastgeber dem Geschenk beilegen, in eine angemessene Perspektive.
Das Mitbringsel hat obendrein die schöne Eigenschaft, immer auch etwas zur Selbstbeschreibung des Gastes beizutragen.
I.
Grundsätzlich lassen sich drei Hauptarten von Mitbringseln unterscheiden:
Das Standardmitbringsel, das Routinemitbringsel und das Sondermitbringsel.
Zu den Standardmitbringseln zählen Blumen, Süßigkeiten (bevorzugt feine Schokoladen) für die Hausfrau (so vorhanden); Wein, Weinbrand, (früher) Tabakwaren aller Art für den Hausherrn. Pralinen und Wein sind beliebte Kandidaten für ein cadeau roulant, das vom Gastgeber, der absehbar seinerseits irgendwo als Gast auftreten wird, neuverpackt und ungeniert weitergegeben werden kann. Manche Schachteln und Flaschen bewältigen so eine mehrjährige Tournee und kehren in besonderen Fällen sogar zum Erst-Gast und Erwerber zurück.
Routinemitbringsel sind selbstgebackene Kuchen, selbstgebraute Schnäpse u.ä., Unter Akademikern wird (wegen der geringen Kosten und der Inhaftnahme eines neuen Lesers), die Gelegenheit, Sonderdrucke eigener Produktion zu überreichen, hochgeschätzt.
Sondermitbringsel werden bei Jubiläen und Festen aller Art, von originellen Gästen auch bei Alltagsgelegenheiten mitgebracht. Hier sind der Phantasie und in der Regel der Überraschung und Freude des Gastgebers keine Grenzen gesetzt. Von der 15liter Bierflasche bis zur Spieluhr, vom Aquarium bis zum Portrait des Gastgebers ist vieles möglich.
Aber natürlich nicht alles. Ein gelungenes Aktportrait der Hausfrau oder ein ausgestopfter Schafskopf lösen unter Umständen keineswegs die vom arglosen (?) Gast erwartete Begeisterung aus.
In eben diese Gefahr geriet vor einigen Tagen einer meiner Gäste.
II.
Der jugendfrische Gast schenkte mir eine Festschrift. Eine Festschrift, verfasst, weil ein bestimmtes Buch 75 Auflagen erzielt hat.
Bei dem Buch handelt es sich um einen Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB, wie die Juristen sagen. Der Kommentar firmiert als „Kurzkommentar“, worunter herkömmlich ein Kommentar zu verstehen ist, der sich auf „das Wesentliche“ beschränkt. Was wesentlich ist, entscheidet der Kommentator. Wem die Vorstellung vom Wesentlichen nicht geheuer ist, der erklärt „kurz“ damit, daß das Produkt keine ausführlichen, sondern nur sehr knappe Erläuterungen zu den einzelnen Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches enthält. Ansonsten ist „kurz“ im konkreten Fall allenfalls noch die extrem verkürzte und durch abgekürzte Wörter weiter eingedorrte Sprache, die gewiss nur dem juristischen Fachmann zugänglich ist.
Im Übrigen handelt es sich bei dem gefeierten Druckerzeugnis um einen, der grauen Sprache akkommodierten, grau eingebundenen, bleischweren und widerwärtigen, mehrtausendseitigen (XXXIV + 3212) Klotz, der nach wohl hM (= herrschender Meinung unter den Juristen) für einen im Zivilrecht tätigen Rechtsdiener so unabdingbar ist wie der Mörtel für den Maurer.
Der fragliche Kurzkommentar wiegt knapp 5 Pfund, trägt den Namen Palandt und dürfte lediglich den Nichtjuristen unbekannt sein.
Dieses Produkt erscheint beim Marktführer C.H. Beck, München, der denn auch für 2016 die Festschrift zur 75. Auflage des Kurzkommentars Palandt mit Beiträgen von den Autoren, von Freunden sowie von Mitarbeitern des Hauses C. H. Beck veranlasst hat.
III.
Diese Festschrift war also das Mitbringsel.
Ich schlage auf und lese:
„Die erste Auflage erschien im Jahr 1939 in schwierigen Zeiten. Bis 1944 folgten weitere 5 Auflagen; danach wurde die regelmäßige Fortsetzung durch die geschichtlichen Entwicklungen für mehrere Jahre unterbrochen.“
Donnerwetter! Das ist nun doch wirklich einmal eine bemerkenswerte, eine einzigartige Beschreibung von Faschismus, Krieg und Nachkriegszeit. In zwei Sätzen. Elementar und kurz, wie ein Kurzkommentar. Und auf das Wesentliche (!) beschränkt.
Klar war es schwierig 1939 - wir mussten zurückschießen. Seit 5 Uhr 45. Und 1945 brachen wir entwicklungsbedingt zusammen. Die Geschichte ging zwar weiter, aber der Produktionsstrom wurde unterbrochen. Dass erst 1949 regelmäßig fortgesetzt werden konnte, lag nicht so sehr an mangelnder Nachfrage und Bedarf, als an den geschichtlichen Verwicklungen des Verlegers Heinrich Beck in das auch von ihm als 1000jährig erwartete Reich.
Wer kann so schreiben? Die nächste Seite macht es klar: Hans Dieter Beck. Der Tunnelblick dessen, der die Zeitläufte ausschließlich unter dem Gesichtspunkt von Warenverkehr und Geldkreislauf betrachtet. Die Händlerperspektive interessiert sich nicht für die Bedingungen der Schwierigkeit, sondern nur für ihre Dauer, ihren Umfang und ihre Überwindung.
Im gleichen Geist drückt sich das Lob zugunsten der Palandt-Autoren aus. Nicht von Treue und Fleiß, von Ordnungskraft oder Spaß an der Leistung ist die Rede. Dem Palandt kam „auch die große Ausdauer der Beteiligten zugute“. Ausdauer! Der Herr mußte in 75 Jahren nur 19 Knechte verpflichten.
Alles klar! Schauen wir nun auf den Inhalt des Geschenks.
IV.
16 Festschrift-Autoren, 160 Seiten. Die Autoren sind auf Seite 158 und 159 abgebildet. 12 von 16. Die Drei vom Hause Beck fehlen (Hoffmann, Burneleit, Seitz). Vielleicht haben sie sich geniert. Weidenkaff (Vorsitzender Richter am OLG München a.D.) fehlt auch. Er hat im Text den Schelm gespielt. Faselt von Au-toren und „weiteren Toren“ (109). Ich hätte mich dafür auch nicht fotografieren lassen.
12 lächelnde Juristengesichter also. Irgendwie unheimlich. Wieso gibt es denn im Recht so viel zu lächeln? Aber sprechende Bilder sind es zweifellos.
V.
Anders als zunächst vermutet, hat nicht jeder Autor genau 10 Seiten verfasst. Manche bleiben weit darunter, z.B. die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg. 3 ½ Seiten. Bei ihr löst der Palandt „Heimatgefühle“ aus. Die Gefühle hatten zwar, wie man erfährt, einen äußeren Anlass: „ein Schreiben zu den Heimattagen Baden-Württemberg“, und darin Fragen an die BGH-Präsidentin, was denn Heimat sei. Aber die „Assoziation zum Palandt lag für mich auf der Hand“. Wieso? Nun, ganz einfach! Die vertraute „Situation bei einem Gericht. Sich schnell einen Überblick verschaffen, schnell die Systematik erkennen. Rasch blättern und kleine Eselsohren anbringen“ (11).
Es ist eben (gottlob!) jeder anders. Manchem fallen bei „Heimat“ die Eselsohren ein. Wer so fühlt, der denkt wohl auch so. Einiges deutet daraufhin.
Frau Limperg ist skeptisch, was die digitale Wende angeht. Ein bißchen Elektronik geht in Ordnung, aber nicht zu viel und keinesfalls alles. Deswegen will sie „eine Lanze brechen für das Buch aus Papier“ (12). Ein löbliches Unterfangen, dem meine Sympathie gehört. Aber musste es denn ausgerechnet der Palandt sein, dem doch normales Empfinden nur mit Vorbehalten (siehe immerhin: Telefon“buch“!) attestieren würde, ein BUCH zu sein, in welches man, pace Limperg, „sich lesend vertiefen, welchem man sich „«sinnlich» […] nähern“ (12) kann.
Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, wie sich jemand „sinnlich“ in den Palandt und sei er auch der „Ausdruck einer gewachsenen und sich beständig entwickelnden Rechtskultur“ (12) soll vertiefen können.
Aber Bettina Limperg kann das. Und sie kann noch viel mehr, weshalb sie, obwohl sie sich selbst im Verdacht hat, eine „Retro-Juristin“ zu sein, weil sie „an die Kraft des Buches“ glaubt, eine Kraft, die selbst vor dem Palandt nicht verzagt, geradezu brünstig endet: „Ohne die Palandts dieser Welt gäbe es keine Bibliotheken, und ohne diese gäbe es […] keinen Geist der Klugheit …“(15).
Auch wer keine Eselsohren hat, sollte diesen Ruf vernehmen.
VI.
Neben derart kurzen Ergüssen, gibt es auch lange. Dieter Burneleit (C.H. Beck, Juristisches Lektorat), S. 117 - 147. 30 Seiten: Palandt: Alle Vorworte. Eine Tour d‘ Horizon zum Erscheinen der 75. Auflage 2016.
„Eine Durchsicht der Vorworte aller 75 Auflagen - wozu soll das gut sein?“ hat sich der Verfasser ahnungsvoll und völlig zu Recht gefragt (117). Sich aber nicht bange machen lassen und 75 Vorworte gelesen, die er dem Leser jetzt in Regestenform präsentiert - abgesehen vom letzten, dem 75. Vorwort. Das „liegt jedem Erwerber dieser Schrift vor und bedarf daher keiner Zusammenfassung mehr“. Kein schöner Zug von Burneleit, denn wieso die 74 anderen Vorworte der Zusammenfassung bedurften, ist durchaus unklar, und der bedauernswerte Leser, dem NUR die Festschrift und nicht die 75. Auflage vorliegt, tappt im Dunkeln, des Anblicks und der Weisheiten des 75. Vorwortes beraubt.
Was man aus den 74 Vorworten zu lesen bekommt - zu 90 % ausgedehnte Zitate, im Übrigen ergänzende Bemerkungen von der Art „das Millenium wirft seinen Schatten voraus“ (1999!) - reflektiert, wie der hellsichtige Verfasser schreibt, „mal deutlicher, mal zurückhaltender, mal gar nicht das Geschehen“. Diese Reflexe atmen den Charme einer Bedienungsanleitung für Staubsauger und die Erotik eines Telefonbuches.
VII.
Man staunt, wie sich selbst Stumpfsinn zum Triumphgesang hocharbeiten kann, eilt aber dann doch lieber wieder zurück zu den kurzen Ergüssen, z.B. zu Friedrich Graf von Westphalen, einem Rechtsanwalt aus Köln.
Der Anwalt feiert den Palandt mit einer Liebeserklärung, die freilich auch noch anderes enthalten soll (Nicht nur eine Liebeserklärung, S. 17 - 19). Tatsächlich findet man nicht nur eine „sehr persönliche Liebeserklärung“, deren Fokus „das gemeinsame Mühen der Liebespartner dieser «Beziehung» um ein je besseres Verständnis des gesetzten Rechts, um mehr Gerechtigkeit auch, aber vor allem das Ringen um ein besseres Recht“ (19) bildet, sondern man erfährt auch, daß „keineswegs jeder Anwalt sich den jährlichen Palandt heute auch noch leisten kann" (18).
Manche müssen also auf „das Ringen“ verzichten, obwohl doch der „schwerlich zu überschätzende Satz“ gelte: «Ein Wort im Palandt wiegt schwerer als ein Wort des Gesetzgebers». Solcherart plötzlich an die Grenzen des Rechtsstaats geführt, lässt man sich im Weiteren nicht ungern die Erinnerungen des Autors an seine Zimmerwirtin aus Studententagen, an die Sprüche von Anwaltskollegen, Richtern, Redakteuren und anderen Zeitgenossen gefallen.
Man hört noch, daß „die Liebe zu Staat und Vaterland“ heutzutage den „Bürgersinn“ nicht mehr auszeichne, «dulce et decorum est pro patria mori» ohnehin over sei, main-stream-Denker keinen Platz im Palandt fänden, üble Nachrede schwer zu verkraften sei und daß der Autor gern das eine oder andere „gute Wort“ seines „verehrten Repetitors Dr. Paul Schneider, Bonn“ zitiere. Als schließlich auch noch „das selbst-referentielle Systemdenken des Soziologen Niklas Luhmann“ arglos durch den Text zu spuken beginnt, flüchtet sich der von so viel Humor tränendurchnässte Mitbringsel-Leser leicht mitgenommen in die trockenen Gefilde stilgetreuer Palandttexte anderer Palandt-Festschrift-Autoren.
VIII.
Jürgen Ellenberger, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, schreibt über Die Volljährigkeitserklärung. Eine interessante Lücke im aktuellen allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches (S. 33-36); Peter Bassenge, Vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck a.D. erzählt vergleichend von den Wandlungen der Kommentierung bei den Grundpfandrechten (S, 37 - 52); Dietmar Weidlich, Notar in Roth bei Nürnberg, Palandt Extended. Anmerkungen zu ausgewählten Kommentarstellen des Erbrechts (S. 53 - 66), bekam vom Verlag die ebenso schöne wie seltene Möglichkeit geboten, „anlässlich einer Jubiläumsauflage eine Kommentierung zusätzlich zu erläutern“, so daß für diesmal der neidische Blick „auf die Großkommentare und deren erweitertes Platzkontingent" unterbleiben durfte.
Bei diesen Texten handelt es sich um so genannte Dogmatik, also das Recht und die Rechtslehre befördernde Erwägungen und Überzeugungen – nach Ansicht vieler Juristen ist das „Wissenschaft“. Diese Wissenschaft, nach Ansicht anderer nicht mehr als eine belanglose Summe von Meinungen, scheint aufgrund ihrer spröden Trockenheit und farblosen Ärmlichkeit nach einer besonderen Form von Humor nicht nur zu dürsten, sondern ihn geradezu hervorzuzwingen.
Diesem Bedürfnis wird in der Palandt-Festschrift der bereits zitierte Walter Weidenkaff gerecht.
IX.
Weidenkaff (Leerauftrag, 109-112) reiht sich ein in die Tradition der unter Juristen berühmt-berüchtigten Festschrift für Friedrich Gottlieb Nagelmann, die erstmals 1984 unter dem Titel Das wahre Verfassungsrecht. Zwischen Lust und Leistung erschienen ist. Wikipedia weiß zu berichten, dass Nagelmann „ein fiktiver deutscher Verfassungsjurist“ sei, „der seit Jahrzehnten in vielen rechtwissenschaftlichen Publikationen Erwähnung“ finde. So also auch hier, wobei die Frage, ob diese Festschrift eine rechtswissenschaftliche Publikation sei, auf sich beruhen soll. Immerhin hat ja wenigstens eine, zweifellos als Wissenschaftler(in) ausgewiesene Person mitgewirkt.
Solcherart präpariert begegnet der Leser einem gewissen „Norbert Bohrer (im Folgenden NB)“, also einer ungemein witzigen Prosopopöie des nota bene (nb), jenes "wohlgemerkt!", mit dem Lektoren und Zensoren in früheren Zeiten den Autoren auf die Nerven gingen, weil sie damit sowohl unerbetene Hinweise als auch Ohrfeigen zu Lasten des Autors einzuleiten pflegten.
Dieser, als Ex-Assistent von F.G. Nagelmann vorgestellte Clown NB geistert jetzt durch vier Festschrift-Seiten und sondert dabei seine Serie von urkomischen Bemerkungen und Empfehlungen ab, deren Qualität und Tiefsinn beim Leser für reines Entzücken sorgt. Etwa der Hinweis, die Palandt- Autoren, die gern über ihren Sklavendienst jammern, sollten froh sein, daß sie ihre Sommerferien nicht auf einem Kreuzfahrtschiff verbringen müssen, sondern „während der heißen Jahreszeit im Schatten an ihrem Manuskript sitzen - » palandtln«, wie NB das nennt - können“ (110). Oder der Rat an den Verlag, Werbung mit dem Spruch „»Palandt besitzen - Klima schützen«“ zu betreiben, denn ein „Bücherregal mit den 75 Auflagen des Palandt an der Außenwand eines Arbeitszimmers garantiere eine hervorragende Wärmedämmung“(112).
Es gibt auch bessere Sprüche („Dramatisiere nie, vereinfache immer“), aber die stammen leider nicht von dem doch der Hohlköpfigkeit verdächtigen NB selbst, sondern sind Zitate, die NB (vermutlich) der zweiten Auflage (1927) des großen Dada-Manifests „Letzte Lockerung“Â von Seliger/Serner entnommen hat.
Hat die Festschrift damit die stets beliebte Witzbold-Station erfolgreich absolviert, fehlt eigentlich nur noch eine nachdrückliche Verteidigung des Kurzkommentars gegen die notorischen Mängelrügen hinsichtlich seiner Sprachform und ein möglichst lebensnahes Beispiel seiner alltäglichen Anwendung.
Beide Wünsche werden erfüllt.
X.
Christian Grüneberg (Richter am BGH) widmet sich der „Stummelsprache“, (»Palandtsprech« zu Abkürzungen und »Stummelsprache« im Palandt, 87 - 92), einer Erscheinung, der die große Aufmerksamkeit, die sie immer wieder erregt einerseits zu viel Ehre, andererseits zu wenig Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Getrieben von dem Wunsch, die immer weiter anschwellenden Normenmassen und die niemals ruhende Interpretations- und Entscheidungslust deutscher Ziviljustiz nach wie vor in einem einbändigen Werk anzubieten, hat der Verlag versucht, durch immer dünneres Papier, durch Erweiterung des Satzspiegels, Verkleinerung der Buchstaben und durch Abkürzung von Wörtern und Sätzen seinen KURZ-Kommentar als solchen zu retten ̶ ein jedenfalls legitimes und plausibles Vorhaben, wollte man sich nicht durch ständige Erhöhung des Umfangs (was in Maßen ohnehin unvermeidlich gewesen ist) und endliche Kapitulation vor den Forderungen nach Mehrbändigkeit der Lächerlichkeit preisgeben.
Ein in der Community durchaus akzeptiertes Verfahren, dessen Nützlichkeit gewiss ist und dessen Unschädlichkeit hinsichtlich der Benutzbarkeit des Textes selbst angesichts unvermeidlicher Auswüchse von den juristischen Praktikern kaum jemals in Zweifel gezogen wurde. Für den Nichtjuristen sind (wenn er sich schon einmal in den Palandt verirrt, in dem er richtigerweise weder etwas zu suchen hat, noch zu finden hoffen darf) die Abkürzungen iZw (= im Zweifel), ggf (= gegebenenfalls), Abn (=Abnahme) etc. fraglos ein gegebenes Fressen, um sich über die ohnehin nicht gerade der Eleganz und des Prunks verdächtige Juristensprache lustig zu machen.
Zünftigen Zuspruch finden diese Quengler allenfalls bei jenen Angehörigen des Rechtsdiskurses, denen, aus welchen Gründen auch immer, am Schiboleth der Jurisprudenz, der Sachlichkeit, nichts gelegen ist, weshalb sie ein Gutachten oder ein Urteil gern im krausen Geraune postpositivistischer Rechtsdenker und Pomo-Philosophen verfasst bzw. untergehen sähen.
Die Sprache des Kurzkommentars ist, darauf hat Hartwig Sprau (Vizepräsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts a.D.) zu Recht hingewiesen, „als Informationsmittel, nicht als gehobene Literatur konzipiert“ (103).
Wenn ich mein Buch zur Vogelbestimmung in die Hand nehme, blicke ich auf ein undurchsichtiges Gewimmel von Abkürzungen [SK (=Sommerkleid), JV (= Jungvogel), Z (= Zugvogel)], von Symbolen, von befremdlicher Begrifflichkeit und eine „Stummelsprache“, die dem Ornithologen, der sein Taschenbuch als solches bewahrt sehen möchte, eine Selbstverständlichkeit, dem Laien ein Graus ist. Vom Juristen unterscheidet sich der Vogelkundler nur dadurch, dass sein Kommentar aufgrund unserer umweltschädlichen Betriebsamkeit immer dünner, der Kommentar des Juristen dagegen immer dicker wird.
Deswegen brauchen die Ornithologen auch keine „Arbeitsgruppe“, wie sie „unter Federführung von Hartwig Sprau“ von der Konferenz der Palandt-Autoren ins Leben gerufen wurde, um sich der schönen Aufgabe zu widmen, die Abkürzungen zu überprüfen, zu vereinheitlichen, zu verbessern (SchadErsatzPfl statt SchadErsPfl) usw.
Da die Gruppe der Abkürzungsexperten bereits seit 2006 arbeitet (Grüneberg, 90) ist dem Beck-Verlag zu empfehlen, alsbald mit den Vorbereitungen zu einer Festschrift (Titel etwa: Zu Theorie u Praxis d Brevität) zum 10jährigen Jubiläum zu beginnen - es kann auch eine abgekürzte sein.
XI.
Eine der Besonderheiten und Spezialitäten deutscher Juristen besteht darin die Tauglichkeit ihres Normmaterials und ihres Subsumtionsscharfsinns anhand von möglichst ausgefallenen, abstrusen, zwar denkbaren, aber nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit niemals zu erwartenden Sachverhalten zu überprüfen. Dieser Methode bedienen sich Isabell Götz (Vorsitzende Richterin am OLG München) und Gerd Brudermüller (Vorsitzender Richter am OLG Karlsruhe a.D.) in einem gemeinsamen Aufsatz (Sitzungstag am Familiengericht, 79 - 86), in welchem sie die Leistungsfähigkeit des Kurzkommentars Palandt für eine Materie darstellen, in welcher nach ihren Worten („im Familienrecht ist nichts unmöglich“) ALLES möglich ist.
Wenigstens einer ihrer drei Probe- und Prüf-Fälle verdient es, wegen seiner Beerdigung in einer Festschrift vor rascher Vergessenheit bewahrt zu werden.
Es handelt sich um ein Juwel des germanischen borderline-thinking, wie die Angelsachsen sagen, die ihrerseits sich bemühen, nicht vom Randständigen, sondern vom Typischen auszugehen, weswegen sie sich häufig nicht in der Lage sehen, für die deutschen Fall-Spinner die rechte Begeisterung aufzubringen.
Der (um für das Verständnis unwesentliche Details gekürzte) Fall sieht so aus:
Herr M und Frau M haben ein Kind B, das nicht vom zeugungsunfähigen M, sondern vom Freund der Eheleute und Samenspender S abstammt. 2 Jahre nach der Geburt von B werden M und M geschieden. Frau M zieht zu C, der als Hausmann und Kinderbetreuer firmiert. Die Herren M, S und C begehren Umgang mit dem Kind B. M als rechtlicher, S als leiblicher, C als sozialer Vater. Im Laufe des Verfahrens verlieben sich Herr M und Herr S, ziehen zusammen und gewinnen Herrn C dafür, ihnen den Haushalt zu führen. In diesem Haushalt lebt B, mit Zustimmung ihrer Mutter, die auswandern will.
Ist das nicht ungemein lustig? Die Rechtsfrage (Wie sind die Umgangsanträge aus den miteinander verbundenen Verfahren zu bescheiden?) wird von den Autoren natürlich gelöst, die Antwort hier aber, um der Nachfrage nach der Festschrift nicht zu schaden, nicht verraten.
Daß der Palandt bei dieser und den beiden anderen Gelegenheit(en) glänzend abschneidet, versteht sich von selbst. Im Familienrecht ist eben nichts unmöglich. Es fehlt jetzt nur noch die Wissenschaft.
XII.
Wissenschaft in der Form von Rechtsgeschichte liefert Elena Barnert, die ihren bereits in Myops 1 (2007) 56 – 67 erschienenen Beitrag „überarbeitet und erweitert“ erneut bei Beck erscheinen lassen durfte (Von Station zu Station. Anm zu Otto Palandt uam, 21 - 32).
Wer vermutet hätte, dass der faktensatte und kritische Text der Autorin beim ehrenvollen Einzug in die Jubel- und Selbstbeweihräucherungscorona leiden würde, sähe sich enttäuscht. Die Verfasserin der nach einem knappen Dezennium angefallenen Überarbeitung ("Literatur und Quellen" sind von 23 Nachweisen auf 35 angewachsen, die Fußnoten von 39 auf 46) hat der Versuchung sich dem Stil und Duktus der anderen Festschriftschreiber anzupassen, tapfer widerstanden und ist dem klaren Wort nicht aus dem Weg gegangen. Sogar der Rebenich-Wesel-Kontroverse, in der sich Wesel zum Bedauern seiner Freunde zum Verlagslakaien gemacht hat, ist sie nicht ausgewichen und hat Wesels Argument vom Besserwissen kraft früher Geburt mild getadelt („steht aber jedenfalls auf sehr wankendem Fuß“, 3120).
Allerdings hat sich in der Lebensgeschichte des Opportunisten Palandt bei der Überarbeitung kein neuer Gesichtspunkt ergeben, so daß man auch mit einem Rückgriff auf Myops 1 sein Auskommen finden kann.
XIII.
Rechtsgeschichte, wenngleich in ihrer eher minderwertigen Form der Dogmengeschichte, betreibt auch Karsten Thorn, Professor an der Buci Law School, wenn er (Palandt und IPR. Betrachtungen zur Frühgeschichte einer kollisionsrechtlichen Kommentierung, S. 67 - 78) Andreas Heldrich, den vor knapp einem Jahrzehnt verstorbenen (1935 - 2007) Rechtsvergleicher, Wissenschaftsratsvorsitzenden und Münchner Rektor würdigt und seine Leistungen auch als Kommentator preist („Wie es Heldrich gelang, den Umfang der Kommentierung angesichts dieser Umwälzungen auf 115 Seiten zu begrenzen, grenzt an ein Wunder“, 78).
Heldrich, der mir stets als ein famoses Kerlchen galt, seit er mich (1958) in der Funktion eines Lehrstuhlassistenten als Abschreiber eines Hausarbeitstextes identifiziert hatte und, Gnade vor Recht ergehen lassend, den reuig Geständigen nur zu einer Zusatzklausur verdonnerte, obwohl ihm beim Verhör der beiden Inkulpaten klar geworden sein musste, daß das Geständnis des Täters in favorem Almut Simon, die seinerzeit noch Burgmann hieß, abgelegt worden war, weil das nüchterne Fräulein Burgmann niemals derart wunderliche und sonderbare Rechtsfiguren erfunden und zuversichtlich vorgetragen hätte wie der vorgebliche Abschreiber.
Dieser spätere Professor Heldrich also hat in der Tat als Palandt-Autor gewirkt. Ansonsten sind die Professoren beim Palandt in der Minderheit, wie es sich bei einem Kommentar von Praktikern für Praktiker auch gehört.
Folgerichtig findet man unter den Jubilanten neben dem durch Heldrich evozierten Karsten Thorn nur noch den bekannt gescheiten Karsten Schmidt (Buci Law School! KS u KT sind mW trotz gl Vornam u Arbort nicht verwdt o verschw). Dessen von sanfter Ironie getragener zweiseitiger Beitrag (Ein Leben mit dem Palandt? 15 -16) ist denn auch nach dem Limpergschen Heimatsgesülze eine wahre Erholung – nicht nur, weil bei ihm „keine rechte Rührung aufkommen“ wollte, so daß er die professionelle Nüchternheit nicht verabschiedete, sondern auch weil er auf das dämliche „ad multos annos“ der Talmihumanisten verzichtet hat.
Vermutlich weiß er, was andere Jubilanten allenfalls zu ahnen scheinen, daß aus den multi anni kaum noch etwas werden wird. Denn daß die digitale Revolution, die schließlich auch die Arbeitsweise der Juristen längst erfasst und determiniert hat, in absehbarer Zeit auch den Palandt ins Internet jagen wird, dürfte keinen Zweifel leiden.
Wobei gewiss nicht unwahrscheinliche verlegerische Einsicht, sondern der Absatz eine Rolle spielen dürfte. Welcher Benutzer wird schon 5 Pfund Papier in Bewegung setzen wollen, wenn er alles und viel mehr auch einem I-pad von 500 Gramm entlocken kann.
Die treuherzige Hoffnung von Hartwig Sprau (100), die durch die Buchform erzwungenen Besonderheiten (Prägnanz, Übersichtlichkeit, Abkürzungen, Textkürze) könnten ihrerseits den Fortbestand eines Buches erzwingen, das als BUCH anzuerkennen, ohnehin schwer fällt, ist mehr rührend als überzeugend. Schließlich wird ein Online-Kommentar viele bisherigen Vorzüge (Aktualität, Pünktlichkeit) optimieren, andere (Präzision, Kürze) nicht vernichten und gewisse Nachteile (Sprache, Verweisungen, Dokumentation) beseitigen.
Bedenkt man dies, kann man die Festschrift gelassen als Nachruf lesen.
XIV.
Was bleibt von diesem Mitbringsel? Zeitverschwendung! Lebensvergeudung! Schreckliche, ärgerliche Zeitverschwendung, wo die Zeit doch ohnehin schon so knapp geworden ist. Was automatisch den Blick zurücklenkt auf die Motive des Gastes. Was hat er beabsichtigt?
Dass er mich langweilen wollte, kann ich ausschließen. Dass er mich anregen wollte, über den Palandt und dessen künftiges Schicksal nachzudenken, ebenfalls. Dass er mir eine Freude machen wollte mit Unerfreulichem – kaum vorstellbar! Dass er Unerfreuliches für erfreulich gehalten hat, wenig wahrscheinlich. Ich vermute, er hatte den Eindruck, ich verschlösse zunehmend vor meiner Umwelt die Augen, weshalb er mich wieder zu einem Blick auf Mentalität, Habitus und Selbstverständnis meiner Profession nötigen wollte, Verhältnisse, die sich nirgends getreuer und verräterischer darstellen als in den Selbstbeschreibungen mittels Festschriften.
Sollte dies tatsächlich die Absicht gewesen sein, so ist sie geglückt.
Mehr Barmherzigkeit wäre mir lieber gewesen.