Nachtrag zu mops-block/DS:Tagebuch vom 14. Februar 2015

Wolf Paul  
Geschrieben am 30. Oktober 2015
richterkarikaturSeit kurzem ist es amtlich und gerichtsnotorisch. Der angebliche Bischof von São Paulo hat vom Altar der Heiliggeistkirche in Frankfurt die Bibel und aus einer Frankfurter Klinikkapelle ein Bischofsgewand entwendet. Das Frankfurter Amtsgericht erließ Strafbefehl gegen den Obdachlosen, der zum Prozeßtermin nicht erschienen war.

 3000 EUR zahlbar in 150 Tagessätzen à 20 EUR. Fraglich blieb hernach, wie der Strafbefehl am Wohnsitzlosen vollstreckt werden konnte und wie der bettelarme Mann die 50 EUR täglich aufbringen sollte, die er für das tägliche Brot braucht. Gesetz ist Gesetz, auch wenn es die Menschenwürde antastet. Not kennt kein Gebot, aber Strafe muß sein.  


 
Der Strafjustiz im vorliegenden Fall das letzte Wort zu überlassen, desavouiert die höhere Rechtsvernunft, vor allem die des Kirchenrechts. Über delinquenten Lebenswandel in der Symbolwelt des Glaubens zu befinden, darf grundsätzlich nicht Sache von weltlicher Justiz sein. Namentlich in Zeiten der Trennung von Religion und Staat ist die Strafverfolgung von schwarzen Schafen der religiösen Lebenswelt primär der Kirchengerichtsbarkeit anvertraut. Staatliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirche gilt dem Kanoniker zu Recht als Verfassungsbruch. Aber Kirchenstrafen sind derzeit nicht nostra aetate und im vorliegenden Fall deutlich kontraindiziert. Die kanonisch rechtlich gebotene Strategie, den falschen Bischof mit Interdikt oder Exkommunikation die böse Tat büßen zu lassen, verbietet sich von selbst. Wenn der Glaube fehlt oder schwankt, verliert die Strafe ihren angestammten Zweck. In aufgeklärten Zeiten ist mit dem CIC  kein Staat zu machen. Da lag es für die Kirche nahe, sich ihres weltlichen Arms zu entsinnen und Strafanzeige zu erstatten. Der Herr liebt seine schwarzen Schafe, die Kirche leider nicht.


Die kirchenamtliche Denunziation des Reliquiendiebstahls war überfällig, wohl aber anrüchig. Den Glaubensbruder im gestohlenen Bischofsgewand der profanen Strafverfolgung auszusetzen, war wohl nicht ein Akt christlicher Nächstenliebe, dafür aber zielführend. Die immerhin monatelang andauernde Suche nach dem in allen deutschen Kirchenlanden umherstreifenden Anscheinsheiligen fand schließlich im Fahndungsnetz der Polizei ein jähes Ende. Das Frankfurter Amtsgericht sah den Tatbestand des Diebstahls erfüllt und erkannte prompt auf Strafe, so die forensische Routine. Armut schützt vor Strafe nicht. Wer nicht zahlen kann oder will, erhält in Deutschland die vorgesehene „Ersatzfreiheitsstrafe“  (1 Tagessatz = 1 Tag Haft), die laut Justizbeitreibungsordnung auch in „gemeinnützige Arbeit“ umgewandelt werden kann. Wer sich dem entzieht, also untertaucht oder das Weite sucht, kann überall und jederzeit von der Polizei aufgegriffen und in Haft genommen werden. Der sofortigen  Strafvollstreckung entkommt kein fliehender Dieb, hört man von einem Strafverteidiger, das deutsche Strafrechtswesen sei schlau und hinterhältig. Les jeux sont faits. Das Spiel ist aus für den selbsternannten „Bischof von São Paulo“ oder „Kardinal von Hohenzollern-Sigmaringen“. Er darf nunmehr zwecks Abgeltung seiner Strafe auf Frankfurts Kirchenplätzen das Herbstlaub fegen.


Richter haben das letzte Wort, können aber fehlen. Nicht immer gelingt der Wahrheit letzter Schluß, wie das Frankfurter Judizium im Fall des falschen Bischofs zeigt.  Der Strafrichter entschied nach „seiner freien Überzeugung“ (§ 261 StPO), allerdings ohne den Inbegriff der Verhandlung auszuschöpfen. Seinem objektiven Blick entging die Sache, um die es eigentlich ging. Nicht über Diebstahl am Eigentum der Kirche war zu befinden, sondern über die Armut des Bettlers, der stiehlt und täuscht, um sich über Wasser zu halten. Das Bischofsgewand war sein täglich Brot, der fromme Anschein  seine Überlebensfrage und keine Satire auf die weltliche Heiligkeit des Klerikalen. Not kennt kein Gebot. Wo keines ist, hat  die Strafe ihr Recht verloren. Ohnehin wohnt der gekonnten Hochstapelei ein Zauber inne, der vor Strafe schützt. Einen Hauptmann von Köpenick straft man nicht, obwohl er es wahrlich verdient hätte.