Magnus
Magnus ist gegangen. Er war ein guter Hund. Bruder von Cara, aus demselben Wurf. Zwei Jahre hat er seine Schwester überlebt. Er war kräftiger (26 kg) und hatte wesentlich kürzere Ohren, ein Mangel, den er durch einen prächtig geformten Hundekopf kompensierte. Gutmütig und weniger gewitzt als seine kluge, aber sehr furchtsame Schwester, verbarg er in seinem muskulösen, schwarzglänzenden Körper ein zartes Gemüt, ständig bereit nach den menschlichen Wünschen Ausschau zu halten und ihnen, soweit es einem Hund möglich ist, entgegenzukommen.

Vor 15 Jahren hatte ich die Beiden mit tierärztlicher Hilfe aus erbärmlichen Verhältnissen befreit und in einer Reisetasche von Berlin nach Frankfurt gebracht, um Regina Ogorek das Weibchen und Almut Simon das Männchen als Weihnachtspräsente aufzudrängen. A.S. hat ihren Magnus nicht mehr aus den Augen gelassen, geschweige denn, aus der Hand gegeben. Über mehr als ein Dutzend Jahre hat er sie täglich auf allen Gängen, die die Rechtsanwältin zu bewältigen hatte, begleitet. So ist er ganz ihr Hund geworden, bis sie ihn nicht mehr versorgen konnte, weil sie selbst der Sorge und Pflege bedürftig wurde.
Beide trennten sich schließlich erstaunlich leicht. Sie vergaß ihn, wie alles andere aus ihrer Gegenwart, und er begrüßte sie bei Heimbesuchen verhalten, nachgerade flüchtig. Es scheint, daß er begriffen hatte, daß sie nicht mehr in seiner Welt zuhause ist.
So wurde er dann, für kurze Zeit noch, allein mein Hund. Ein braver, bescheidener Gefährte, der gern auf meinem Bett döste und mit sparsamen Spaziergängen zufrieden war. Als er langsam ertaubte, stellte er sich schnell und umstandslos auf die wenigen Winke um, deren es bedarf, um einen großen Hund sicher durch die gefährliche Großstadt Berlin zu steuern. Da er immer noch entschiedenen Wert darauf legte voraus zu traben, aber nichts mehr hörte, mußte er sich häufig umdrehen, um sich meiner Gefolgschaft zu versichern und seine selbstgegebene Pflicht, auf mich aufzupassen, nicht aus der Nase und den Augen zu verlieren.
Jetzt ist er gegangen. Ich war nicht bei ihm und fürchte, das hat ihn geschmerzt, ja, ich befürchte sogar, er hat in seiner stillen Aufmerksamkeit nach mir verlangt. Denn ganz ohne äußeren Anlass habe ich am Morgen seines Abschieds mehrere Stunden an ihn gedacht. Schließlich hatte ich ihm versprochen, ihm beizustehen, als wir merkten, daß seine Zeit zur Neige ging, daß er immer steifer und die Bewältigung der Treppen immer beschwerlicher wurde. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, daß es so schnell gehen würde. Und von Bulgarien aus konnte ich mein Versprechen nicht halten.
Assistent Max Wagner hat es für mich erfüllt. Das ist mir ein rechter Trost. Denn Max, der vergeblich versucht, seine Sensibilität cool zu verbergen und seine Liebe zum Lebewesen eher verhehlt als vor sich herträgt - Max hat ihn begleitet, so daß er nicht einsam sterben musste.
Und allein sterben ohnehin Alle.