Wickelkind
Ich bin kein sonderlich frommer Mensch. Aber natürlich kann auch ich nicht ausschließen, daß irgendwo einer oder mehrere Allmächtige sitzen oder liegen oder stehen. Wenn ich das könnte, wäre ich ja selber allmächtig. Allmächtige bewirken, das gehört zum Begriff, was nur Allmächtige bewirken können. Eben ALLES.


Auch die Wiederbelebung und Rücksendung eines längst Verstorbenen. Normalerweise habe ich keinen Bedarf nach Wiedergängern. Aber heute kam mir spontan der Gedanke, daß ich vielleicht darum bitten sollte, mir einen wiederzusenden, dem ich meine Wünsche und Hoffnungen anvertrauen könnte. Ich bin nicht sehr optimistisch, dass es klappt. Aber man weiß ja nie. Und ein Versuch kostet nichts. Also:

Sehr geehrte Damen/Herren Allmächtige,

ich bitte, ausnahmsweise und einmalig, um alsbaldige Reanthropologisierung, Reanimierung und Respiritualisierung (möglichst im Standard seines letzten Lebensjahres) von Karl-Hermann Flach (1929 – 1973) zuletzt Generalsekretär der damaligen FDP und (vermutlich versehentlich) zu früh abberufen.

Begründung:

Unsere Gesellschaft, unser Volk, braucht dringend wieder eine liberale Partei, eine aufklärerische und kritische Partei, die in allen wesentlichen Zügen jenem Bild entspricht, das Flach seinerzeit (1971) mit se

inem Buch „Noch eine Chance für die Liberalen“ gezeichnet hat. Flach – und meines Erachtens nur er – wäre in der Lage, eine solche Partei zu gründen. Ich weiß, dass die FDP noch immer, wenn auch nur in Restbeständen, existiert. Bei ihrer Führung handelt es sich aber leider um die nichtsversprechenden Ziehsöhne und Ziehtöchter derjenigen, die die Ideen und Visionen des (bei mir) unvergessenen Flach ruiniert und in den Ökonomiemorast getreten haben. Die trefflichen Etiketten „Partei der Besserverdienenden“, „Steuersenkungspartei“, „Klientelpartei“ etc. sind vermutlich bis nach oben (unten?) gedrungen, so dass ich mir Näherungen ersparen kann.

Dass wir eine richtige liberale Partei brauchen, schwante mir schon länger. Es begann vor einigen Jahren als mir ein Polizist erläuterte, daß ich mich zu meiner eigenen Sicherheit im Auto anzuschnallen hätte und meinen Hinweis, dass ich auf diese gern verzichten und auch Maßnahmen ergreifen würde, damit die Solidargemeinschaft der Versicherten nicht im Falle meines Unfalles belastet werden könne, mit den Worten zurückwies: „Diese Regeln hat der Staat in ihrem Interesse erlassen und Sie haben sich daran zu halten“. Wenig später wurde mein Kraftfahrzeug ab

geschleppt. Vandalismus hatte ein Seitenfenster zertrümmert. Den Wagen wieder zu bekommen war teuer. Als ich bei der Polizei nachfragte, weshalb das vor meiner Haustür vorschriftsmäßig geparkte Auto abgeschleppt wurde, hieß es „das war zum Schutze ihres Eigentums erforderlich“.

Inzwischen ist vieles passiert, was in mir den Verdacht erregte, daß ich mich auf dem Wege zu einem staatlich lizensierten, klarsichtverpackten, allseits geschützten, umsichtig verantwortungsfrei gehaltenen und voll versicherten Staatselement befinde, dessen Bewegung, Fütterung und Fortpflanzung großbrüderlich und großschwesterlich sorgsam geregelt und vom Fürsorgemoloch überwacht wird. In meinem eigenen Interesse.

paternoster

Heute Morgen allerdings, am 20.06. 2015, wurde mir schlagartig klar, dass eine Notbremse gezogen werden muss. Der Deutschlandfunk – ich denke, dass er wegen seiner Exzellenz auch in Ihren Räumen (Wolken?) gehört wird – brachte eine Sendung über den Paternoster. DER Paternoster ist bekanntlich etwas ganz anderes als DAS Pater noster der Christen (pater noster, qui es in coelis … Vater unser, der Du bist in Himmeln …), nämlich, wie es in unübertrefflichem Deutsch heißt: Ein „Personen-Umlaufaufzug“. Dieses technisch ausgereifte, praktische, schnelle und an vergangene, gemächliche Zeiten erinnernde Transportmittel von einem Stockwerk zum nächsten, das schon seit 1974 nicht mehr gebaut werden darf, soll jetzt gänzlich verschwinden – zu unserer Sicherheit!

Laut einer Verordnung des Bundesarbeitsministeriums – wer dort herrscht dürfte bekannt sein, so daß ich mir alle (im Zweifel inkorrekten) Schilderungen sparen kann – ist die Benutzung eines Paternosters nur noch geschultem und zertifiziertem Personal der jeweiligen Einrichtung gestattet. Krethi und Plethi steigen zu Fuß über die Treppen in die nächsten Stockwerke oder benutzen gegebenenfalls einen Lift. Ausnahmsweise besteht die Möglichkeit sich vor Fahrtantritt einweisen zu lassen. Man muß dann nur noch unterschreiben, daß man eingewiesen wurde.

Da sich alsbald nach Bekanntwerden dieser gigantischen Dummheit im Volke ein gewisses Murren ob dieses blöden Einfalls erhob – die undankbaren Bürger müssen seit alters zu ihrem Glück geprügelt werden – erließ das Ministerium zur schnellen Beruhigung der Lage umgehend eine 1. Änderungsverordnung zur Betriebssicherheitsverordnung für Personenumlaufaufzüge (sorry!), die eine wesentliche Erleichterung brachte, welche auch Krethi und Plethi den Zugang zum Paternoster wieder eröffnen wird. Erforderlich ist lediglich noch ein Antrag der über den Paternoster verfügenden Einrichtung auf Genehmigung der Paternoster-Nutzung durch Krethi und Plethi. Im Antrag ist anzugeben, wie viele K & P Paternoster fahren wollen oder sollen und warum. Es scheint – man ist noch mit der Entzifferung der 1.ÄVO befasst – daß K & P auch in Eigenregie einen Benutzungsantrag werden stellen dürfen; vermutlich sind ein ärztliches Unbedenklichkeitsattest, eine Schufa-Auskunft und 2 Lichtbilder beizufügen.

Unterzeichner und präsumtive Verfasser dieser horrenden dreidimensionalen Mischung aus verschiedenen D-Minderwertigkeiten (Demenz, Dummheit, Dünkel) sind bekannt, sollen hier aber unerwähnt bleiben, damit meine Bitte nicht als Antrag auf die wahrlich gerechtfertigte vorzeitige Abberufung der Betroffenen missverstanden wird. Argumenta ad personam sind selten stark.

Was mir jedoch den Gedanken an die Notwendigkeit einer „Not-Bremse“ erst wirklich und dringlich eingab, war weniger die aufdringliche und aufgedrängte Sorge, ich könne mich durch ein unzertifiziertes Paternostern verletzen als die den Investigativen vom Deutschlandfunk durch das Ministerium beiläufig und eher in der Absicht einer Entschuldigung ausgegebene Information, daß der Einfall etwas für meine Sicherheit zu tun, überhaupt nicht von der Ministerin Nahles und ihrer besorgniserregenden Mannschaft stamme, sondern dem Ministerium „von außen“, von der Industrie-Lobby der Fahrstuhlproduzenten nahegebracht worden sei. Wegen der Unfallgefahr - warum denn sonst!?

Verpackung, Versorgung, Versicherung und Verwahrung meiner (und anderer Bürger) Person sind also bereits so weit gediehen, werden von meinen politischen Repräsentanten so selbstverständlich angenommen und als alternativlos (!) unterstellt, daß man sogar mit dem bloßen Schein von Fürsorge trüben Geschäftsinteressen die Gloriole der Bürgerpflege anhängen kann.

Das geht gar nicht!!

gefangen
Was macht aber ein Bundesbürger, wenn er funktionslos und machtlos als blanker Wahlbürger die „Notbremse“ ziehen will? Er geht auf die Straße und pfeift, skandiert und schreit in der hoffnungslosen Hoffnung gehört zu werden oder er macht nichts, weil er nichts machen kann oder er denkt an Wahltag/Zahltag.


So auch ich – und hier hochgeehrte Allmächtige, beginnt man auf den Grund meiner Bitte zu sehen. Wen soll ich wählen, sobald wieder Wahltag ist? Wen wählte ich, wenn er morgen überraschend käme?

Die Roten? Waren seit eh und je staatsselig und tragen, bald mehr, bald weniger bewusst, eifrig zu unserer bürokratischen Einbalsamierung bei;

Die Schwarzen? Sind nicht mehr, was sie einmal waren und stopfen sogar noch die Löcher, welche die Roten lassen, mit schwarzchristlich-fürsorglicher Nächstenliebe zu – geht nicht;

Die Grünen, denen der Staat bereits so weit ins Hirn gedrungen ist, daß mancher Staatssozialist vor Neid erblassen möchte (vgl. Veggieday)? Wo gehobelt wird fallen Späne. Ich möchte aber kein Span des ökologischen Umbaus der Gesellschaft sein;

DIE Gelben? Siehe oben!

Die trüben, greisen Kulturkonservativen, denen die Tränensäcke schon so weit über die alternativen Augen gestiegen sind, daß sie ihnen den Blick nach rechts versperren? KACK- Kein Alternativer Christlicher Konservativismus!

Oder soll ich mir gar einen Pümpel (alias „Saugglocke“) auf den Kopf setzen und nach Dresden reisen, um mich im ehemaligen Tal der Ahnungslosen grimmig der Verdummung preiszugeben?

Also, ich bin in großer Verlegenheit. Ich brauche dringend eine liberale Partei, mit den alten liberalen Idealen, den alten liberalen Werten, den alten liberalen Haltungen. Eine neue alte FDP, die mich davor bewahrt, daß meine Freunde demnächst von mir denken: „He loved Big Brother“, wie es George Orwell einst am Ende seines Buches über seinen Winston sagte.

Deshalb bitte ich untertänig um die (vorübergehende) Rückführung von Karl-Hermann Flach, damit er uns einen Weg weise, zwischen der Vergötterung der Starken, den wir hinter uns und der Vergötzung der Schwachen, den wir vor uns haben.

Mit ergebenen Grüßen

Dieter Simon

(„Und nix für ungut!“ – wie man in Bayern sagt, wenn man jemand zu nahe getreten ist)