Kameradschaft
Eine Kommission der Berlin-Brandenburgischen Akademie tagt. Sie befasst sich mit dem Thema „Zitat und Paraphrase“. Auch der unaufmerksame Zeitgenosse ahnt, daß er hier einen Decknamen für ein Phänomen vor sich hat, das landläufig als Plagiat bezeichnet wird. Besser: keinen Decknamen, sondern einen wissenschaftlichen Titel, der es vermeidet, nach Sensation, Unterschleif, Lausbüberei, Charaktermangel, Häme usw. zu schmecken. Ich gehöre dieser Kommission an. Ungebeten, also ganz und gar freiwillig, habe mich hineingedrängt, als ich las „Zitat und Paraphrase“. Das roch nach einem Titel von Freund Markschies, einem Signal, das ich in irgendeiner akademischen Bekanntmachung aufschnappte, worauf ich den Leiter dieser Kommission, Christoph Markschies, anrief und fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich dazukäme.

Er hatte nichts dagegen. Im Gegenteil. Er bekundete große Freude, fast schon Begeisterung. Ich dachte: “er freut sich, weil ich sein Freund bin“. Denn an sich bin ich als Spezialist in Plagiatsachen bislang nicht aufgefallen. Eignung und Fleiß als Mitglied der Kommission waren also nicht ohne weiteres zu unterstellen. Selbst in der unsäglichen Schwintowski-Affäre hatten nur dieser selbst und einige Seinesgleichen mich als Täter in Verdacht – sei es, weil sie glaubten, daß die studentische Hilfskraft Benjamin Lahusen nicht in der Lage gewesen sei, die plump-freche Dummheit des Abschreibers aufzudecken, sei es, weil sie nicht glaubten, Lahusen könne so mutig gewesen sein, seine Entdeckung auch zu publizieren, da sie nur rippen- und rückgratlose Individuen als Hilfskräfte beschäftigen und folglich auch nur solche kennen. Aber Markschies, damals Präsident der Humboldt-Universität, kannte Benjamin, kannte auch mich schon länger (wir hatten immerhin miteinander 2 Semester Quintilian gelesen), kannte meine höchst bescheidene Rolle bei diesem an Dreistigkeit schwer zu überbietenden Vorgang und hatte von daher keinen Grund, mich für besonders berufen zu halten für „Zitat und Paraphrase“.

Blieb also: „weil ich sein Freund bin“. „Freundschaft“ ist nun freilich eine schwierige Sache. Man weiß, daß jemand, der einen anderen als seinen „Parteifreund“ bezeichnet, kaum damit zum Ausdruck bringen will, dass es sich um seinen Freund handelt. Auch „Schulfreund“ ist eine seltsame Titulierung, weil ihr Wärmegrad schwindet, je älter die Freunde werden. Wer mit 16 seinen „Schulfreund“ zitiert, ahnt noch nicht wie das mit 66 klingen wird, falls er nicht hinzufügen kann: „und sind Freunde geblieben“. Kollegen nennen sich gern Freunde und meinen doch häufig nur, dass sie freund-lich miteinander umgehen, sich abends gelegentlich sehen und ein Glas Alkohol miteinander trinken.

Überhaupt schwierig, die Freundschaft zwischen Erwachsenen. Leicht zwischen Kindern, nicht mehr ganz so leicht unter Jugendlichen. Bei den Älteren stehen zu viele Erfahrungen zwischen den Subjekten, viel zu viel Leben wurde nicht geteilt, kann auch nicht mehr geteilt werden. Bleiben einige gemeinsame Ansichten von dem, was man machen darf oder auch nicht; unspezifische Sympathie; Bewunderung hier und da für einen, der das Leben ganz anders tanzt als man selbst, aber auch nicht ohne Besinnung; tiefere Überzeugungen vielleicht (aber zwischen M., der ein evangelischer Seelsorger ist und mir, der ich so ziemlich die Negation eines solchen darstelle?); man sieht sich gern und ist nicht gefeit gegen Überraschungen – kurzum: ein ziemlich zartes Band, das leicht zerreißen könnte. Kein trotziges Einstehen für den Anderen, auch wider besseres Wissen; keine Bürgschaft – mit Geld, mit Organen oder gar mit dem Leben wie zu Zeiten des Friedrich Schiller. Ein ziemlich dünnes Band also, wenn es sich nicht ohnehin als Illusion erweist.

Freund Markschies nun leitet die Kommission „Zitat und Paraphrase“, in der ich sitze. Christiane Lahusen, die ihm dabei hilft, schickt mir einen „Link“, in dem eine pseudonyme Simone die Kommission beschreibt, die jetzt auch die „meine“ ist. „Simone“ hat schon viel über die „causa Schavan“ geschrieben und schreibt immer noch. Sie schreibt einen zupackenden, gefällig-ironischen Stil, manchmal sarkastisch, kenntnisreich und ziemlich treffsicher. Man möchte sie (ihn?) kennen. Das meiste von dem, was sie beschreibt, scheint mir richtig, manches mag ich nicht glauben, bei einigem weiß ich es besser (z.B. weiß ich, daß ich weder katholisch bin noch es jemals war).

Simone also beschreibt meine Kommission als eine Persil-Schein (so hieß das zwischen 1945-50)-Kommission, als eine Schavan-Rehabilitierungskommission, ersonnen und bestückt von Freund Markschies, um den Schatten, der auf das bekannte fromme Gesicht gefallen ist, wieder aufzuhellen und echt wissenschaftlich zu leisten, was den Granden der Wissenschaftsorganisationen trotz tollkühner Rabulistik nicht gelingen mochte: das nachgewiesene Plagiat aus der Welt zu diskutieren (vgl. Ogorek im mops-block, s.v. Anverwandeln, vom 23.Okt.2012).

Ich stimme Simone in vielem zu, vor allem in dem, was sie so nicht gesagt hat, nämlich, daß das kleine Schmankerl von und zu Guttenberg ruhig alsbald dem kollektiven Gedächtnis entfallen darf, dass aber das kolossale Lehrstück „Schavan“, ein Schlüssel- und Entschlüsselungsdrama über die Verfasstheit und den Zustand des deutschen Wissenschaftssystems, über den Odeur seiner Politiken und das Unterfutter seiner Repräsentanten innerhalb und außerhalb der Universität ständig gelehrt und beschrien werden muss, bis sich ein Herkules oder auch mehrere finden, die bereit sind, den Rhein durch diese Ställe zu leiten.

Ich denke: Sollte dieser unfromme Wunsch in Erfüllung gehen, werde ich anscheinend auch selbst von dieser Reinigung betroffen sein, denn ich sitze schließlich in einer Kommission, die – pace Simone – alles daransetzt, den Dreck zu verhüllen, statt ihn aufzudecken. Freund Markschies hätte mich warnen müssen – denke ich.

Irritiert gehe ich im Kopf die Kommissionsmitglieder durch. Manche kenne ich „kollegial“, einige ein bisschen besser, fallweise bilde ich mir sogar ein, zu wissen, wie sie denken. Natürlich sind wir häufig und gern verschiedener Meinung, aber soll ich Jürgen Trabant und Randolf Menzel, Wolfgang Klein und Ferdinand Hucho, Peter Gaehtgens und Rainer Kiesow, alle bisher bekannt und erlebt als klug und differenziert, soll ich die beiordnen dem wüsten Haufen der kopfmässig doch überwiegend eher schlichten Düsseldorfbeschimpfer und Justizverächter, der Wissenschaftspriester und Verfahrenspolizisten, die VIER Augen brauchen, um ein fehlendes Anführungszeichen ausfindig zu machen und DREI Gutachten, um zu sehen, dass ein Satz sich von einem anderen nicht unterscheidet?

Viele kenne ich freilich auch nicht – die Kommission ist sehr groß, weshalb, wenn die Hälfte fehlt, die Zahl der Akteure immer noch stattlich erscheint – so dass es mir durchaus möglich, nach der sozialen Logik geradezu wahrscheinlich erscheint, dass unter den mir nicht Bekannten die präsumtiven Weißwäscher sitzen – wenn es denn überhaupt welche gibt. Freund Markschies, so scheint es mir jetzt, der für alles die Verantwortung hat und trägt, musste mich nicht warnen – schließlich sitzt in jeder Kommission mindestens ein unreiner Geist – aber ich muss ihn fragen.

Ich frage ihn, und er sagt zum Text der Simone, wenn ich unser Drei-Stunden-Gespräch auf drei Worte zusammenfasse, „geschickt, aber falsch“, womit er mich von der quälenden Vorstellung befreit, es könne ein evangelischer Theologe, Historiker und Philologe und obendrein mein Freund plötzlich und kontraintuitiv sich zur Verteidigung einer erzkatholischen, miserablen Dissertantin und neuerdings Studentin ohne Abschluss aufgeschwungen haben, die zudem in vielen Punkten seinem gegnerischen Lager (bei Theologen gibt es das) zu subsumieren ist.

Falsch“ also! Alles in Ordnung – denke ich. Die Führung ist in Ordnung, dann mag in der Kommission letztlich sitzen wer will. Die Sacharbeit wird ihn bekehren oder aussondern. Und tatsächlich ist ja auch der zu reinigende Name in der Runde bislang nur aus meinem Munde zu vernehmen gewesen.

Was aber auch ein Trick gewesen sein könnte, denke ich, als Christiane Lahusen zur Sitzung vom 16. Oktober ein vertrauliches Papier verschickte, das von Bruno Bleckmann, dem Dekan der Düsseldorfer philosophischen Fakultät, stammt und einen Bericht an den Senat der Heinrich-Heine-Universität enthält – ein Papier, das, wie die meisten vertraulichen Papiere, alsbald seinen Weg an die Öffentlichkeit (hier: den „Tagesspiegel“) gefunden hat, jetzt im Internet steht und jeden Interessenten den Gestank der Augias-Ställe mittels 16 „Anlagen“ detailliert riechen lässt. Denn was in diesem Bericht auf Seite 19 ff. über Freund Markschies berichtet wird, klingt zwar in der Sache durchaus nach Simone (ein bisschen weniger pfiffig und eher traurig als hämisch), scheint aber nicht weniger schlüssig und stammt nicht von einer pseudonymen Anonyma, sondern vom Althistoriker Bruno Bleckmann, der zumindest jedem Rechtsbyzantinisten (und also auch mir) als Leser von Zonaras und eifriger Forscher an Konstantin und dessen Söhnen als ehrenwerter Mann bekannt ist.

Ein Trick? Von wem und warum?

Nun – Freund Markschies könnte von der Persilschwadron hereingelegt worden sein, hinters Licht geführt von Leuten, die seinen großen wissenschaftlichen Rang und mehr noch, seine schwer zu zähmende Neugierde und Spaß am Spiel nutzen wollen zum Wiedergewinn von Fremd-Reputation – z.B. indem sie seine Kommission bewegen, das Plagiat wissenschaftlich verbindlich zu definieren als gewaltsame Aneignung fremden Wissens, wodurch dann für alle klammheimlichen Betrügerinnen und Betrüger Unschuldsbeweis und Nachweis rechtswidrig erlittener Verfolgung zugleich mitgeliefert wäre.

Oder, viel schlimmer, ein Trick von Freund Markschies, der vielleicht gar kein Freund ist und mich nicht als Freund bewillkommnete, sondern als Feigenblatt und Legitimationshansel? da doch hinlänglich bekannt ist, was ich von der südwestdeutschen Pädagogikphilosophin hielt und halte – selbst Simone konnte sich so recht keinen Grund für meine Mitgliedschaft in der Kommission erphantasieren und musste sich mit meiner Versetzung in den Katholizismus behelfen.

Setze ich mich also hin und blättere alles nach, was der gründliche Historiker Bleckmann an Indizien für den Beweis der Markschies-Verfehlungen ermittelt und zusammengetragen hat, was heute dank der technischen Möglichkeiten (“Errungenschaften“!), die jedes Interview, jeden Zeitungsartikel, jeden Antrag und nicht selten jeden Brief zugänglich machen, leicht ist, während man früher 30 Jahre warten musste, um im Archiv eine Bestätigung für seine Vermutungen zu finden. Und siehe da: Mein Endurteil zu den Folgerungen Bleckmanns auf S.19 / 20 seines Berichts - ich habe es schon einmal gehört- lautet: „Geschickt, aber falsch“ ein hermeneutischer Wechselbalg Historikerfehler! Schlecht gelesen, schief kombiniert, leicht geglaubt, schnell gefolgert, keck projiziert, kühn propagiert.

Was ich jetzt hier dokumentieren könnte, wozu ich aber zu faul bin. Wer’s nicht glaubt, soll sich einfach drei Stunden vor den Computer setzen.

Ich atme auf, resümiere und stelle verdrossen fest, daß ich am Ende doch nichts gewonnen habe. Nicht einmal alle Möglichkeiten, die einem ordinären Verschwörungstheoretiker eingefallen wären, wurden ausgeschöpft. Warum z.B. – um mich aufs Nächstliegende zu beschränken – Markschies nicht porträtieren als willigen Vollstrecker eines präsidialen Ukas von Günter Stock, der doch, wie man weithin vernimmt, nicht unbeträchtliche Anstrengung unternahm, um die gerichtlich geschlagenen Wunden der Fremdschämerin zu heilen?

An dieser Stelle hätte sich mein Einsatz dann vielleicht wirklich gelohnt. Aber so?

Ist das fachliche und charakterliche Trauerspiel, an dem uns Bleckmann teilnehmen lässt, jetzt falsch? Leider nein, ein falsches Fädchen macht das Gewebe nicht wertlos. Eher das Briefmarkensyndrom. Ein Fehldruck erhöht den Wert. Andernfalls sollte man alle Historiographie auf den Müll werfen.

Sitze ich in einer Kommission unbeteiligter Wahrheitssucher (siehe: Ehre und Reinheit der Wissenschaft!)? Kaum! Aber ich fühle mich nicht berufen, die U-Boote zu orten.

Hat sich eine meiner Überzeugungen geändert? Nein! Bestätigt? Nein! – aber halt! Eines hat sich sehr wohl bestätigt: Freund Markschies bleibt ein solcher.