Vera Finger war auf der Suche nach dem Recht in der menschenrechtlich aufgerüsteten Sozialarbeit und schreibt mir nach einem Interview mit einer soziale Arbeit Studierenden folgendes:

Was ist der Wert der Sozialen Arbeit? Niemandem stellt sich diese Frage dringlicher als den Sozialarbeitenden selbst, denn ohne Wertehilfe und Ethos als feste Krücken im täglichen Broterwerb ist diese kaum zu bewältigen.

Manche juristische Spezialisierung ist diesbezüglich ganz bei sich angelangt, wenn die Verteidigung der cooperate identity und die schlichte Geldmehrung als Berufsethos die Rechtsschaffenden mit sich selbst zufriedenstellen.

Die Sozialarbeitenden jedoch sind widersetzlich und tun sich mit einer derartigen Anpassung an die Regeln der Ökonomie schwer. Zwar findet sich der Widerstand nur noch vereinzelt in einem marxistisch-sozialistischen Arbeitsanspruch wieder – wer sich von seiner sozialen Arbeit die gesellschaftliche Revolution verspricht und erhofft steht innerhalb seines Berufsstandes seit den 1980er Jahren auf einsamem Posten. Folgerichtig lässt sich seitdem der Aufstieg der Definition von „Sozialarbeit“ als Dienstleistung verfolgen.

Kritik an einer „Serviceleistung“, die das Individuum als Klienten begreift und auf die „Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit“ (§ 93 II Nr. 3 BSHG) verpflichtet ist, ließ nicht lange auf sich warten. Sie konnte sich aber nicht mehr auf den abgetretenen Pfaden gerade erst gescheiterter Utopien bewegen. Also griff man, in und mit dem Fluss des Age of Globalization schwimmend, zur ältesten aller modernen Utopien, den Menschenrechten.

In der Professorin Silvia Staub-Bernasconi fand sich eine prominente und charismatische Verfechterin dieser Berufslosung, die systemtheoretisch fundiert wird: Ausgehend vom Verständnis von Sozialer Arbeit als „besonderer Umgang mit Menschen […]“ (1986) gelangte sie zum Selbstverständnis von Sozialarbeit als „Human Rights Profession“ (1995), eine Auffassung, die versprach, „Wege aus der Bescheidenheit“ aufzuzeigen.

„Soziale Arbeit“ als theoretisch konstituierte Wissenschaft erhebt damit einen Autonomieanspruch, der in Verteidigung des menschenrechtlichen Berufsethos nicht zuletzt als rhetorischer Trick gegenüber betriebswirtschaftlichen Einfällen hilfreich sein kann. Mit dieser Phalanx ließ sich 2002 in Berlin ein Masterstudiengang „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“ in Hochschul- und Universitätskooperation etablieren, der die Umsetzung der Menschenrechtsthematik in Lehre, Praxis und Organisation zum Ziel ausrief.

Unabhängig von dem Umstand, dass längst nicht alle Professionellen in der Sozialen Arbeit sich diesem Ziel anschlossen und anschließen, erwuchs die Kritik an der Kritik auch aus den eigenen Reihen: Das allumfassende Arbeitsziel (als solches blieb nach der Etablierung jenes Masterstudiengangs nicht weniger als die Verwirklichung der Menschenrechte in Praxis und Organisation) sah sich zunehmend mit dem Vorwurf eines praxisfernen Idealismus konfrontiert.

Inzwischen hat der bei der Verknüpfung der Menschenrechte mit der Sozialen Arbeit obwaltende Idealismus dazu geführt, dass sich das Arbeitsziel zum ethischen Kodex des Berufsstandes gewandelt hat.

Wie in jeder Wissenschaft verspricht man sich jetzt auch in der Sozialarbeit von der Tugendhaftigkeit der Wissenschaftler und Lernenden, die auf ein bestimmtes Ethos verpflichtet sind, die Wert- und Sinnhaftigkeit dieser Arbeit. Der holistische Bezugspunkt der Menschenrechte hat sich in ein berufliches Ideal, in eine standesartige Identität verwandelt.

Im Universitäts- und Hochschulalltag dient diese Identität in erster Linie der Selbstbestärkung, die geeignet ist, die kritische Reflexion der Ausbildung und Arbeit an den Rand zu drängen.

So lernt man zwar in Vorlesungen zur Geschichte der Sozialen Arbeit das menschenrechtliche Ideal kennen und als philosophisch angereicherten Berufskodex schätzen. Danach besucht man aber die von Juristen angebotene Vorlesung zum Sozialrecht, wo man sich die Paragraphen des Bundessozialhilfegesetzes in letzter Fassung anzueignen hat.

Hier versagt dann das zur Identität erwachsene Ideal seinen Dienst als kritisches Instrument. Und über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird gar nicht erst gelesen.

Das Recht ist in den alltäglichen Menschenrechten der Sozialarbeit nicht auffindbar.