On revient toujours à ses premières amours, sagt der Volksmund auch in Deutschland. Meine erste wissenschaftliche Liebe gehörte zwar der juristischen Papyrologie

– jener faszinierenden Masse von Dokumenten, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aus dem ägyptischen Sand gefördert wird und uns so unmittelbar und direkt von dem Leben der Kleinen und Großen vor und nach dem Beginn unserer Zeitrechnung erzählt, daß man dabei zu sein glaubt – aber die Byzantinistik kann man bei gewisser Großzügigkeit noch hinzunehmen. Zu ihr – der Byzantinistik – bin ich (in bescheidenem Umfang) zurückgekehrt, eher zufällig, und aufgrund von Umständen, die nicht sehr lustig sind.

Die Byzantinistik ist ein kleines Fach, ein sehr kleines „Orchideenfach“, wie die Experten sagen, das deshalb den Charme dieser Fächer teilt, d.h. die Kenner kennen sich, sie sind naturgemäß international, und sie überblicken ihr Gebiet bis zum Horizont: Kultur, Wirtschaft, Recht, Religion und Wissenschaft werden nicht völlig getrennt bearbeitet, sondern gelten allen gleichviel. Spezialisierung aus Neigung, nicht aus Not. Über den Horizont – das ist die Kehrseite der Orchideen – blickt man dafür selten.

Ich sitze also unter Byzantinisten und trinke Rotwein. Man spricht über Frau Schavan, die Ex-Ministerin, die auch einmal die Ministerin der deutschen Byzantinisten war. Man will vom Juristen wissen, ob das deutsche Recht der Ministerin wohl helfen werde. Ich ziehe mich mit der juristischen Alltagstheorie aus der Affäre, wonach auf hoher See und vor Gericht der Mensch sich in Gottes Hand befinde. Die Byzantinisten kichern. Bei ihnen sind Plagiate selten. Man kennt sich und alles und merkt deshalb sofort, wenn einer in des Anderen Kiste greift. Ein ByziPlag wäre unnötiger Aufwand. Siehe den Fall Sode.

„Fall Sode?“ fragt der Rückkehrer erstaunt?

„Na klar, Claudia Sode, die den „Schnellkurs Byzanz“ (bei Du Mont) abgepinselt hat. Wissen doch alle.“

Ich weiß nichts. „Wer ist Claudia Sode? Eine Studentin, die relegiert wurde?“

„Nein, Nein – eine Professorin, Ordinariat, Köln“.

„Aha! Alles abgepinselt sagt ihr! Und jetzt?“

„Wie – ‚und jetzt‘?“

„Was ist passiert? Zurückgetreten? Entlassen? Entrechtet? o.ä.?“

„Ach nee. Wir lachen eben. Kalter Kaffee inzwischen. Jeder in der ‚community‘ weiß Bescheid! Das war’s.“

„Aha! Sie prüft also und korrigiert Arbeiten und betreut Dissertationen und bestraft Abschreiber und predigt wissenschaftliches Ethos und professorale Korrektheit und verlangt Respekt vor ihrer Abschreiberleistung?“

„Na ja, hm, hm!“

Was ist das? Auf den ersten Blick sieht es aus wie die gerechte Umkehr der alten Bauernweisheit, nach der man die Kleinen hängt, aber die Großen laufen läßt. Hier wurde die große Ministerin gehängt, aber die kleine Professorin darf werkeln. Außerdem gibt es eine Riesendifferenz – schließlich ging es nicht um eine abschließende, titelverleihende Qualifikationsarbeit, sondern um einen belanglosen Schnellschuss („Schnellkurs“!).

Aber tatsächlich ist es doch nur die erneute Bestätigung dessen, was das Volk begriffen zu haben glaubt: die Kleinen sind nämlich die Studenten, die gehängt werden werden – und die große Professorin läuft ungestraft davon. Denn die ‚community‘ sieht in solchem Fehltritt - unter welchen Umständen und in welchem Umfang auch immer begangen - eben keinen prinzipiellen Defekt der Person, sondern einen kleinen Kunstfehler, über den man lacht. Die ‚community‘ hat nämlich ihr Berufsethos so lange und so gründlich bearbeitet, bis es zum Schnellkurs in der Kumpanei der Krähen verkommen ist.