Schade – jetzt ist sie doch zurückgetreten, ohne auf meine Durchhaltebitte zu achten und uns noch eine Weile den um ihr Amt geführten Schaukampf der Heuchler, Speichellecker, Wissenschaftssäuberer und sonstiger Besorgter und „Betroffener“ zu gönnen. Wenigstens ist Frau Merkel meiner Empfehlung gefolgt und hat die erfahrene und erfreuliche Frau Wanka zur Nachfolgerin berufen.

Wie vorhergesehen, geht es jetzt nur noch um die Folgen. Die kleineren und schon ins Uninteressante abdriftenden Folgen, wie die Frage, was das von Frau Schavan angerufene Gericht eines späten Tages zum Verwaltungsakt der Düsseldorfer sagen wird, wie sich Theologievorlesungen von Predigern mit Hilfskraftstatus ausmachen und ob man alte Ehrungen jetzt kassieren oder neue zu demonstrativer Linderung aufs gebeutelte Schavan-Haupt häufen sollte und die größeren Folgen, wie die Frage, ob und was aus dem casus Schavan zu lernen sei, wobei offenkundig weniger die Gesellschaft als das Wissenschaftssystem und die Universitäten in Rede stehen.

Die Debatte hat schon begonnen und läuft erwartungsgemäß schlecht. Eifrige journalistische Besorgtheit breitet sich aus, ob denn der Doktortitel jetzt beschädigt sei, ob das „Vertrauen“, dass er offenbar genoss, dahingesunken sei und ob und wie die Universitäten und ihre Doktorväter und Doktormütter jetzt zu erhöhter Wachsamkeit aufzurufen und zu intensivster Betreuung anzuhalten seien.

Rührende und idiotische Vorschläge kursieren - etwa, daß man bereits den Schulunterricht um das Fach „Wie zitiere ich richtig?“ erweitern solle oder daß eine bundesrepublikanische Zentralstelle einzurichten sei, die im Nachhinein ein kritisches Auge auf die verliehenen Hüte werfen würde. Im besten Fall gutgemeinte, in allen Fällen völlig wert- und folgenlose Postulate, die den Kern des Übels nicht einmal berühren, geschweige denn den Zustand bessern können.

Zu bessern sind nämlich nicht die Promovenden, sondern vorrangig, wenn nicht ausschließlich die Promovierer.

Was veranlasst die verschiedenen Fakultäten eigentlich dazu, in jedem Semester ganze Schubkarren voller Dissertationen in die Welt zu schleudern, wohl wissend, daß wenigstens 90% niemals von mehr als bestenfalls zwei Leuten werden gelesen werden: vom Doktoranden und seinem Betreuer?

Ist es der Umstand, daß viele Doktoranden zu haben, im akademischen Bereich weithin als ein Ausweis von Exzellenz gilt? Schließlich gibt es doch das Phänomen, daß beim Gespräch unter Kennern, wenn auf die Frage wo und bei wem der andere promoviert habe, je nachdem entweder ein beifälliges „aha“ oder ein spöttisches „soso“ durch den Raum zieht.

Die Idee, daß eine große Schar von Doktoranden eine Auszeichnung sei, wurzelt in der romantischen Vorstellung, der große Mann ziehe mit Charisma und Geist viele Adepten an, so dass man aus vielen Adepten notwendig auf Charisma und großen Geist schließen müsse.

Wobei alle jene Professoren und (inzwischen tatsächlich auch) Professorinnen ausgeklammert werden, deren Heerscharen von Doktoranden an den Projekten von Vati oder Mutti werkeln und am Ende mit einem Doktorhut entlassen werden, weil ein Vergelt‘s Gott vielleicht doch zu wenig wäre. Und erst recht jene, die, nachdem sie nassforsch bekundet haben, daß sie unbeschwert zwei Dutzend Doktoranden betreuen könnten, von niemand innerakademisch mehr ernst genommen werden, weil jeder weiß, daß das nur unernst möglich ist, und dass dieser Proselyten-Reichtum nicht auf Charisma und Geist, sondern auf gnädig abgezweigte Gutachtenhonorare und verschiedene Vergünstigungen („Dr.“ gegen „Leibchenzählen“ und „Einhüten“, wie die 68er gesagt hätten) zurückzuführen sein dürfte.

Woraus zunächst nicht mehr folgt als daß, so wie Universität nicht gleich Universität, Doktor nicht gleich Doktor ist.

Aber eben bei dieser Verschiedenheit des Produkts wäre anzusetzen, wenn man die Lage des Produkts verbessern und von dem unseligen Einfall, man könne Mist durch Inspektion und Kontrolle in Edelmetall verwandeln, ablassen möchte. Wobei das Produkt sich naturgemäß nicht selbst helfen kann, so daß der Produzent oder die Produzentin ins Auge zu fassen sind.

Gegenwärtig ist der Zustand kurz gefasst so, dass an den Universitäten Krethi und Plethi befugt sind, Krethi und Plethi zu promovieren. Ein Umstand, der dem Ansehen des Doktors schon längst und nachhaltig und mehr als eine abschreibende Ministerin es je vermöchte, geschadet hat.

Hier sollte also zuerst ein Riegel vorgeschoben werden. Sind eigentlich – und mit welcher Begründung? – alle an der Universität gelehrten Fächer doktorabel? Das scheint eine verwegene Frage zu sein, aber die Universitäten können sie sicher beantworten. Denn sie müssen doch über Kriterien verfügen. Schließlich verweigern sie den Fachhochschulen seit Jahrzehnten das Recht zur Promotion mit dem Hinweis, was dort betrieben werde, sei keine Wissenschaft, sondern Handwerk – aber ist Jurisprudenz kein Handwerk? Wäre eine Dissertation, die die fundamentale Verbesserung einer Ventilfunktion vorschlägt, wirklich so viel weniger wert als eine dissertierende Antwort auf die Frage, wie sich eine Norm des deutschen Baurechts europarechtlich bewähren könne? Und wie ist es mit der Medizin, über deren Doktorate schon so viel geredet und geschrieben wurde, daß jedes Wort überflüssig ist?

Also hier wäre vielleicht ein erster Schritt möglich, eine Reduktion denkbar und sinnvoll, weil mit jeder Verknappung das Ansehen des Gutes steigt.

Der nächste und entscheidende Schritt müsste in den Fakultäten selbst getan werden. Soll wirklich jeder Professor, die sich zudem bekanntlich in den letzten Jahrzehnten unmäßig vermehrt haben, nur weil er einer Fakultät angehört, befugt sein, Doktorate auszuwerfen? Auch dann, wenn er selbst z.B. des Plagiats überführt und damit der Wissenschaftsschändung schuldig gesprochen wurde? Dafür gibt es leider Beispiele. Sollen „Profs“, wie die Studenten sagen, befugt sein, Dissertationen anzuregen, selbst dann, wenn sie die Wissenschaft offensichtlich nicht lieben, wie man daran erkennt, daß sie sie nicht pflegen oder verkaufen? Dafür gibt es leider noch viel mehr Beispiele.

Aber eine Promotion ist schließlich nicht das Privatvergnügen des singulären Professors. Es ist immer die ganze Fakultät – die auch stets ausreichend Zeit zur Lektüre und zum Protest bekommt – welche feststellt, der Kandidat Jobst habe die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten dargetan und daher den Dr.-Titel verdient.

Natürlich nimmt die Fakultät diese Gelegenheit nicht wahr – sie hat schließlich Besseres zu tun als unablässig Dissertationen zu lesen. Aber nähme sie sie wahr, gäbe es vielleicht alsbald weniger zu lesen. Denn sie wäre befugt und in der Lage, zu sagen, daß ihr die Arbeit, die der Kollege Plagiator einreichen ließ, nicht gefällt, und daß es ihr noch weniger gefällt, daß er Dissertationen überhaupt betreut. Aber das wäre schon ziemlich unkollegial, sehr unschicklich und jedenfalls zeitraubend für die Fakultät und freiheitsberaubend für den willigen Promovierer.

Fehlt noch die andere Seite der Kreter und Pharisäer. Es gibt ein Recht auf Promotion. Jeder der die geringen formalen Voraussetzungen erfüllt, kann promovieren. Vater oder Mutter braucht er nicht. Er kann eine Arbeit schreiben und einreichen und der Dekan muss 2 Gutachter bestellen. Kommt selten vor. Die meisten möchten einen Betreuer. Einen, der sie führt und lenkt.

Zum Betreuer kann man allerdings nicht gezwungen werden. Man könnte fragen, warum der Aspirant promovieren will. Und kann ablehnen. Z. B., wenn deutlich ist, daß dem Kandidaten die Wissenschaft schnuppe ist, weil er den Titel an der Hotelbar, in seinem Lieblingslokal und überall dort, wo er Kunde sein wird, nützlich findet. Man hört und liest, daß 90% derjenigen, die promovieren, nicht beabsichtigen, in die Wissenschaft zu gehen. Aber weshalb soll man ihnen dann ein Eintrittsbillet in die Wissenschaft verschaffen?

Würden die Doktoranden sorgfältig geprüft, beobachtet und erst akzeptiert, wenn der Wille zur Wissenschaft, zur Lösung einer selbstgewählten (!!) Frage, zur großen Form bei neuem Inhalt, in dem oder der Studierenden brennt, wäre das Problem gelöst. Ohne zusätzliche Prüfungen, Vertragsschlüsse zwischen Professor und Kandidat und Betreuungsaufgabenschärfung. Schließlich gibt es auch für diese Doktoranden genug Belege.

Die verantwortungslose Visitenkartenpromotion verschwände.

Freilich entspricht das dem Versuch, wissenschaftliches Ethos in die Fakultäten zu prügeln. Eine herkulische Aufgabe, von der man hoffen möchte, daß sie sich nicht als Sisyphusarbeit entlarvt. Ich bin pessimistisch. Vermutlich wird der Stein auf Dauer immer wieder in die Tiefe rollen.