Die Absicht, nach langen Jahren Martin Guerre wieder einmal in mein Seminar zurückkehren zu lassen, veranlasst mich, ein wenig Umschau zu halten, was sich wohl seit 1985 (vgl. RJ 4, 1985, 67 ff.) auf diesem Gebiet ereignet hat.
Ich stoße sofort auf Sandino Rothenbücher, dessen Text von Amazon angeboten wird:
"Der Topos "Ehefrau zwischen zwei Männern" in Literatur und Film: Am Beispiel des Falles Martin Guerre [Taschenbuch]
Sandino Rothenbücher (Autor)
Ich sehe in der „Produktinformation“, daß es sich um ein „Taschenbuch“ von mageren 52 Seiten aus dem Grin Verlag handelt. Zwar scheinen mir 15 € ziemlich happig - aber vielleicht bekommt man ja für 30 Cents pro Seite die ultimativen Informationen über den eleganten Titel-Topos.
Töricht übersehe ich die „Kurzbeschreibung“ (wohl vom Verfasser) aus der sich ergibt, daß das „Taschenbuch“ eine „Studienarbeit“ darstellt, die am Fachbereich Ethnologie/ Volkskunde an der Universität Würzburg gefertigt und mit der Note 1,0 ausgestattet wurde. Und bestelle das Taschenbuch.
Ich erhalte umgehend, was ich bestellt habe.
Eine, wie sich im Inneren des Textes nun endgültig enthüllt „Hausarbeit für das Hauptseminar: Paarbeziehungen. Der Liebes- und Ehediskurs vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert“
Das zur „Hausarbeit“ degenerierte „Taschenbuch“ enthält genau 20 Blatt im Format 21 x 15, so daß ich mich nicht wundern darf, wenn ich nicht mehr bekomme als eine tapfere Nacherzählung der Geschichte des Martin Guerre in etwa auf dem Niveau der anspruchsloseren Rezensionen des Buches von Nathalie Zemon Davis von 1982.
Vom Topos, von Analysen, von Quellen, von Parallelen, von Reflexionen nach der Art von Robert Finlay, Ginzburg etc. ist keine Rede - kann auch keine Rede sein auf einer 20 Seiten-Hausarbeit zu der das 52 Seiten Taschen“buch“ geschrumpft ist.
Womit der Autor Sandino Rothenbücher nicht gescholten werden soll. Er hat getan, was er konnte und die mit dem „Ehediskurs“ befasste Lehrperson war offenbar mit dem Resultat 1,0-zufrieden. Als Student hat er also gut gezielt und bravourös getroffen.
Eher müsste man dem „Grin-Verlag für akademische Texte“ grollen, der sich „seit der Gründung im Jahr 1998 auf die Veröffentlichung akademischer Texte spezialisiert hat“. Man ist versucht, die Chuzpe, die Heuchelei und die Unverschämtheit zu geißeln, mit der dem forschungswilligen Geist wertloses Zeug zu horrendem Preis als (Taschen-) „Buch“ angedreht wird.
Aber das wäre ungerecht. Gerecht ist es zu loben, wie hier altdeutsche Volksweisheiten, den Juristen nicht unbekannt, im Dienste der Aufklärung geschäftstüchtig dem kollektiven Gedächtnis wieder eingeprägt werden:
Augen auf oder Beutel auf!
Aus Schaden wird man klug!
Also: wer sich dem Grin-Verlag nüchtern und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte nähert, darf sich über die Folgen nicht beklagen. Wer nicht über diese Konstitution verfügt, darf sich beklagen. Helfen wird ihm allerdings keiner. Denn eine Spezialisierung „auf die Veröffentlichung akademischer Texte“ ist keine strafbare Handlung.
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Grin-Verlag
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