Einladung ins Wissenschaftskolleg Berlin. Am Freitag den 30. März 2012 wird Olivier Jouanjan von 14.00 – 17.00 Uhr die Ergebnisse eines zweitägigen Workshops  „Recht und Normativität im Nationalsozialismus“ vorstellen. Ein Thema über das man immer wieder reden und hören kann.

Ich gehe hin und finde fünf Redner vor.




„Warum brauchen Juristen Erzählungen?“ fragt sich Jouanjan aus Straßburg, wie die Frage erkennen läßt, ein vermutlich postmoderner  Professor des öffentlichen Rechts. Er redet beiläufig über Hans Blumenberg, über Unbegrifflichkeit, Metaphorologie, Rechtsbilder und Legitimationsdiskurse und stellt die Akteure vor. Für das NS-Recht hat er den Ausdruck „monströs“ entdeckt, ein Hinweis, der die intellektuelle Spannung etwas mildert.

Johann Chapoutot aus Grenoble soll und will über den Charakter der Norm im Nationalsozialismus sprechen. Frieder Günther von der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus wird einige professorale Bewältigungsstrategien bei den Systembrüchen 1933 und 1945 miteinander vergleichen. Florian Meinel vom WZB Berlin hat gerade über Forsthoff promoviert und macht sich Gedanken über die Widerspiegelung realer Veränderungen in juristischer Theorie. Herlinde Pauer-Studer, Philosophin in Wien ist mit Verzerrungen (Verzehrungen?) im nationalsozialistischen Strafrecht befasst. Das Publikum: etwa 15-20 junge und alte Interessenten aller Fakultäten.

Es wurde eine lustige Veranstaltung, die allerlei Einblicke und Einsichten bot. Nicht alle von gleicher Wucht – aber einige sind durchaus bemerkenswert.

  • Getretener Quark wird breit nicht stark, sagt Goethe und hat immer noch recht.
  • Man kann 12 Minuten über den Charakter der Normen im NS reden, ohne den Ausdruck „Norm“ zu verwenden.
  • Es werden zu wenige Gottesdienste im Radio angehört. Andernfalls könnte man sich nicht über die bodenlose Dummheit der NS-Menschen ereifern, an solche Märchen wie die „Rassentheorie“ geglaubt zu haben.
  • Wer gesund, kräftig und bei Verstand in einen Systembruch gerät, kann sich zurückziehen, verstummen, anpassen, mitmachen. Das war 1933 so und  1945 schon wieder. Schlichtweg verblüffend. Dabei wäre das Erstaunen  noch steigerungsfähig gewesen, wäre 1989 berücksichtigt worden. Da war es nämlich auch so.
  • Wer der sprachanalytischen Philosophie anhängt, liest nicht Heidegger. Ein Christ greift schließlich nicht zum Koran.
  • Der nationalsozialistische Rechtsdenker war gegen Individualismus, für Konkretheit und noch für anderes. Carl Schmitt war ein Bösewicht. Aber Huber und Köttgen waren auch welche.
  • Der NS- Staat hat aus nulla poena sine lege einfach nullum crimen sine poena gemacht. Uns ist das fremd wie die Mauerschützenprozesse zeigen.
  • Carl Schmitt war wirklich ein Bösewicht – siehe seinen Aufsatz „Drei  Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens“ (Ordnung und Gestaltung!).
  • Der Nationalsozialismus hat von arteigenen Werten gefaselt. Gut daß es das nicht mehr gibt. Leitkultur ist schließlich etwas anderes.
  • Die Aufhebung des Analogieverbots hat den Strafrichter entfesselt. Gut, daß es wieder gilt, jetzt ist er wieder gefesselt (Naucke hat nicht gelebt.)
  • Man kann lang und blumig über Recht reden, ohne einen Schimmer von Rechtsgeschichte und/oder Rechtstheorie zu haben, man nennt das dann philosophisch – aber nicht rechtsphilosophisch.
  • Überhaupt: Lesen schadet, es nimmt die Unbefangenheit Verstaubtes und Verstaubendes als neues Forschungsergebnis zu verkünden. Aber wenn man schon einmal liest, dann muss das Gelesene auch referiert werden.
  • Der sancta simplicitas fehlt gelegentlich die Heiligkeit
Ich hätte sicher noch viel mehr lernen können, aber um 16.00 Uhr bin ich mit gesträubten Haaren geflohen (Anpassung an Systembruch!). Merke: Nicht immer lohnt sich ein Ausflug in den Grunewald