In der Wissenschaft hat das Englische das Deutsche aufgefressen. Das ist nicht neu und auch keine Tragödie. Schließlich haben wir diesen Vorgang durch unsere Torheiten und Gemeinheiten im 20. Jahrhundert auf eifrigste befördert und auch endlich durchgesetzt. Im 19. Jahrhundert noch war die Wissenschaft eine weitgehend deutsche Angelegenheit.

Mit der Vertreibung unserer Großen und ihrer Ersetzung durch „Deutsche Physik“, „Deutsche Soziologie“, „Deutsche Chemie“ usw. ging es dann sehr schnell mit dem Deutschtum bergab. Der wissenschaftliche Weltstandard durfte nach 1945 – auf Englisch – aus Amerika re-zipiert werden. So nach und nach lernten die braven deutschen Schüler ihre neue Rolle und fingen an, in der Sprache ihres Rezeptionsgutes mit-zu-reden. Schließlich wollten sie verstanden werden und da niemand sich veranlasst sah, Ihnen in ihrer Muttersprache zuzuhören, mussten sie eben in das fremde Gewand schlüpfen. Was sie umso lieber taten, als sie dann nicht mehr auf der Stelle als schmuddelige Deutschwesen zu erkennen waren. Sie schwammen unauffällig im amerikanischen Weltherrschaftsstrom mit. Heute ist der Zustand irreversibel geworden, und wenn einer plärrt, Europa rede jetzt Deutsch, dann ist dies den Sensiblen peinlich, die Informierten lachen und den Demokraten stehen die Haare zu Berge. Europa redet englisch. Bei den für die Reproduktion zentralen, für die Bildung peripheren Naturwissenschaften ist Deutsch als Sprache der Wissenschaft ausgestorben, wie mir vor Jahren ein hochrangiges Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften erläuterte, als ich um die Benennung deutschsprachiger Standardwerke der Naturwissenschaft zur Aufnahme in den (die Gebrüder Grimm modern kopierenden) Mega-Thesaurus deutschsprachigen Schrifttums bat. Bei den für die Bildung im Mittelpunkt, für die Reproduktion am Rande befindlichen Geisteswissenschaften ist die Lage etwas anders. Der Trend ist derselbe, aber es gibt Widerstand, der sich nicht voreilig mit der ahistorischen Floskel von der lingua franca beruhigen läßt. Leute wie Jürgen Trabant, die lange und intensiv über das Verhältnis von Gedanke und Sprache nachsinnen, beunruhigen sich und stellen Fragen. Alte Fragen mit immer noch kontroversen Antworten. Kommt ein Gedanke sprachlos zur Welt? Oder schon gekleidet, geformt, genormt? Kann er vielleicht in mancher Sprache überhaupt nicht erscheinen oder in manche nicht transferiert werden? Fragen, deren kulturelle Tragweite sich leicht erschließt und die es geraten erscheinen lassen, nicht allzu hastig die Mimesis des Angelsächsischen voranzutreiben, sondern den Unterwerfungsprozess besonnen und umsichtig – vielleicht sogar unter Rettung vereinzelter Positionen – vorzunehmen. Ein Rat, der freilich nicht mit der Bereitschaft deutscher Professorinnen und Professoren rechnet, ihre Hinterteile beflissen jeder Knute anzubieten. Einen köstlichen Beleg fand ich vor Jahrzehnten bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt/Main. Auf dem Podium 6 Philosophen. 5 Deutsche, 1 Engländer. Gegenstand: Hegel heute. Publikum: deutsche Studenten. Sprache: Englisch (bzw. was die Deutschen dafür hielten). Argument: Höflichkeit gegenüber dem englischen Gast. Nach einer halben Stunde bat der Gast in feinem Deutsch um Fortsetzung der Diskussion in dieser Sprache, da man so vielleicht dem Gegenstand  angemessener zu Leibe rücke und er obendrein des Amerikanischen nur mangelhaft mächtig sei (später, unter 4 Augen: Er könne die Verstümmelung seiner Muttersprache nur schwer ertragen). Die Peinlichkeit wurde bereinigt, blieb singulär und wurde vergessen. Jetzt habe ich mich wieder erinnert als ich eine Einladung für Montag den 6. Februar in das Wissenschaftskolleg Berlin erhielt. Dort hält der deutsche Rechtstheoretiker Robert Alexy, der vor Zeiten eine kerndeutsche, aus einsichtigen Gründen praktisch folgenlos gebliebene, neoidealistische Rechtstheorie entworfen hat, einen Vortrag über das (deutsche) Dauerthema (the perennial question), ob die Befugnis eines Verfassungsgerichts (whether empowering a constitutional court) parlamentarisch verabschiedete Gesetze aufzuheben (to invalidate acts of parliament), demokratieverträglich (is compatible with democracy) sei. Vor (95%) deutschen Zuhörern. Jede Wette, daß er zu dem Ergebnis kommen wird, daß man trotz aller Wenn und Aber am Ende „Ja“ sagen darf. Der niedrige Stand der Überraschungserwartung wird kompensiert durch: „Vortrag und Diskussion werden in englischer Sprache stattfinden.“ Warum denn dies? Courtoisie - aber gegenüber wem? Übungshalber - aber wozu? Westerwelle-Syndrom – aber in der Wissenschaft? Lingua franca? siehe oben! Meine Vermutung: Zweitnutzung eines in englischer Sprache erprobten älteren Stücks? Das wäre zwar eine Unverfrorenheit gegenüber dem Gastgeber. Aber der bin ich ja nicht, und hinzugehen braucht man nicht.