Donald
Der 45. amerikanische Präsident, Enkel eines aus Kallstadt in der Pfalz abgeschobenen Pfälzers namens Trump - ein Name, der aus der Trompete stammt, die einer seiner Vorfahren blasen durfte, wenn man zum Massakrieren auszog - dieser Trump also, mit dem entzückenden Entenhausener Vornamen „Donald“, hat schon viele Würdigungen erfahren. Meistens negative. Ein „Clown“ soll er sein, ein „Lügner“, „Rüpel“, „Nichtsnutz“, „Ignorant“ – unberechenbar, unzurechnungsfähig, dement, kurzum: ein „unfähiges Würstchen“.


Das sind nur einige der analytischen Qualifikationen, mit denen er hierzulande ausgezeichnet wird. In Amerika gibt es davon viel mehr. Es sei denn, seine Anhänger sprechen. Da er nach seiner und meiner Einschätzung jedoch noch mindestens 7 Jahre regieren wird, darf man erwarten, dass die Summe geringschätziger, genervter und angewiderter Kennzeichnungen noch erheblich ansteigen wird. Sie liegt schon jetzt auf einem noch nie erreichten und vermutlich nie wieder erreichbaren Niveau.

Das ist überhaupt das Außergewöhnliche, das noch nie Dagewesene am Signalement dieses Erdenlenkers, dass er seinen Zuhörern und Beobachtern ständig die Adjektive „unerhört“, „unerwartet“, „unglaublich“, „erstmalig“ abnötigt.

So habe ich weder unwissentlich noch versehentlich davon gesprochen, dass Trump „mindestens“ noch 7 Jahre regieren werde, womit doch angedeutet ist, dass es auch länger sein könnte. Nach der amerikanischen Verfassung geht dies zwar keinesfalls – es wäre absolut „unglaublich“ und jedenfalls „erstmalig“. Aber – siehe oben und sogleich:

Ist es nicht absolut unglaublich und jedenfalls erstmalig, dass ein Herrscher erwägt, sich selbst für ein Delikt zu begnadigen?

Die Phantasie von Juristen ist bekanntlich sehr ausgeprägt, aber gegenüber den Einfällen dieses Potentaten wirkt sie doch recht ärmlich. Da begeht einer eine Missetat, in den Augen seiner Untertanen sogar eine ziemlich gravierende – er klüngelt mit dem Erzfeind, um seine Rivalin zu diskreditieren und gelangt so auf den Thron –, und damit er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, wie ein simpler Straftäter, übt er sein Gnadenrecht an sich selbst aus. Wo frühere Gebieter am Altar um Gnade und Nachsicht flehten, da regiert jetzt reflexive Selbstjustiz – eine bislang unbekannte Rechtsfigur.

Nixon hätte sein Amt zu Ende führen und Bill Clinton sich viele Sorgen ersparen können, wenn Ihnen dieser unglaubliche Gedanke gekommen wäre. Aber erstmalig hat ihn Trump gefasst. Was freilich gar nicht so schwer ist, wenn man nur immer zuerst („first“!) an sich selber denkt. Dann verwandelt sich eine Befugnis, die dazu bestimmt ist, andere von Strafe zu eximieren, nahezu von selbst in ein Instrument zur Selbstreinigung. Wäre schließlich auch seltsam, wollte man der Waschfrau untersagen, gelegentlich auch ihren eigenen Schlüpfer mitzuwaschen.

Dass der jetzt erreichte Standard in absehbarer Zeit absinkt, ist nicht anzunehmen. Wir werden sicher noch viel Unerhörtes hören und noch mehr Unglaubliches glauben müssen. Die negativen Bewertungen dieses Präsidenten werden weiterhin zunehmen. Denn obwohl sie bereits einen einsamen Höchststand erreicht haben, ist immer noch Luft nach oben.

So sind zum Beispiel die Auslassungen zur Physiognomie des Trompeter- Nachkommen noch sehr spärlich. Obwohl die hierzulande ab 6.00 Uhr in der Frühe eintreffenden Bilder vom letzten Arbeitstag des Führers der westlichen Welt durchaus genügen, um ein Frühstück vor 10 Uhr als völlig ausgeschlossen erscheinen zu lassen, nutzt niemand diese erzwungene Erholungsphase für eine detaillierte Analyse dieses immensen Reichtums an Gesichtskonvulsionen. Das zappelnde Pandämonium seelischer und sinnlicher Emanationen der Präsidentengrimasse bleibt einstweilen unbeschrieben.

Eine irgendwie erholsame Wirkung wäre freilich von dieser Tätigkeit so wenig zu erwarten wie von allen anderen Attacken auf das neue Monument der freien Welt

So sieht es jedenfalls zurzeit aus. Die Mauer der Wähler, Unterstützer und Sponsoren wankt nicht. Wie sollte sie auch? Das Gezeter und Gejammer aller Orten ist Musik in den Ohren der Trump-Anhänger. Sie bekommen, was sie erhofften – nämlich, daß all den in ihren fetten Gewissheiten schwimmenden, selbstgerechten Oberschichtlern und Heuchlern endlich einmal jemand täglich so aufs Maul haut, daß ihnen das überlegene Grinsen vergeht. Kein Wunder also, dass ihr Held von der Lügenpresse angegeifert wird. „Weiter so Donald“! jauchzt es nicht nur in Ohio. Und der nachfahrende Pfälzer legt zu.

Allerdings: Wer weiß schon, was kommt? (vorderpfälzische Volksweisheit).

Vox populi, des Volkes Stimme, ist schon seit längerem nicht mehr die Vox Dei. Jedenfalls möchte man sich die Gottesstimme nur ungern so vorstellen, so von Ahnungslosigkeit, Unbeständigkeit, Stimmung und Willkür triefend. Man sieht es sogar hierzulande, auf der Insel der Seligen: Politiker steigen auf wie Raketen, funkeln, es wird hell – und „puff“ ist alles wieder dunkel. Viele steigen ab oder gar aus, stürzen – und siehe da, bevor der Meinungsforscher es ahnt, sind sie wieder drauf oder drin, wie es der Gunst zu begünstigen beliebt.

Davor ist natürlich auch Trump nicht gefeit. Auch er kann sich auf nichts mehr verlassen. Vielleicht wird er aus dem Amt gejagt, vielleicht wechselt er sich in diesem mit einem General oder einem Berater ab, so wie weiland der immerwährende Putin mit Medwedew oder es gibt gar keinen Präsidenten mehr und die Amerikaner regieren sich kollektiv und bescheiden – was alles schwer vorstellbar ist, aber letztlich auch nur erstmalig wäre.

Sollte gleichwohl alles seinen gewohnten Gang gehen und tatsächlich dem 45. Präsidenten der USA ein personenungleicher 46.ter folgen, dann werden Dinge sichtbar werden, die gegenwärtig für die von Zorn, Enttäuschung und Verachtung getrübten Augen der parteiischen Beobachter nicht zu erkennen sind.

Des 45.ten gedenkend wird man die guten Seiten, oder besser, die erfreulichen Wirkungen des Donald Trump entdecken und ihn endlich einmal, auch aus der Perspektive seiner Gegner, angemessen und positiv würdigen. Zu diesem Zeitpunkt werden die jetzt noch Jauche versprühenden Gazetten alle Indizien sammeln, die auf seine verdienstvolle Aufklärungstätigkeit hinweisen und für Belege zur kulturellen Bereicherung, die er für uns darstellte, dankbar sein. In diesem Sinne sind die folgenden Bemerkungen als quasi-nekrologische Hilfestellung zu verstehen.

Man sollte, um mit einer Kleinigkeit zu beginnen, systematisch darauf achten, welche Folgen des Präsidenten ständige Beschwörung der „fake news“ und die überaus glückliche Entdeckung der „alternativen Fakten“ durch seine Pressesprecherin hatten.

Nicht nur, daß beide Sprachmuster mit phänomenaler Geschwindigkeit – erstmalig in der deutschen Sprachgeschichte – sowohl in den akademischen wie den nichtakademischen Wortschatz eingedrungen sind.

Die von einem Umfrageinstitut im Jahresabstand gestellte Frage, ob die Befragten den Medien „eher mehr“ oder „eher weniger“ vertrauen würden, wurde 2016 noch von 46% mit „eher mehr“ beantwortet, ein Wert, der 2017 auf 12,8% absank, während die Quote der „eher weniger“ Vertrauenden von 27,3 % auf 42,1 % angestiegen ist. Ein Anstieg des kritischen Potentials, den die bei uns werkelnden AfDler und Pegidasten mit ihrem „Lügenpresse“-Geheul nie geschafft hätten.

Und erst die Gedankenfigur der „alternativen Fakten“! Bis vor Kurzem haben wir die diskrepante Bewertung eines Sachverhalts nur mit so grobschlächtigen Instrumenten wie Irrtum/Lüge versus Wahrheit/Wahrhaftigkeit bearbeitet. Etwa die Frage ob es die von Historikern erzählten und gezählten „dunklen Jahrhunderte“ vor dem Mittelalter wirklich gab oder ob diese, da Quellen fehlen, erfunden sind.

Wahr? Falsch? Eine aus der neuen Sicht der Dinge wirklich ridiküle Haltung. Durch die Entdeckung der Figur „alternative Fakten“ sind sowohl die Befürworter wie die Gegner der dunklen Jahrhunderte auf gleiche Augenhöhe getreten. Ohne Ansehensverlust und ohne moralische Vorwürfe, wie sie der Konstatierung von Dummheit und Lüge nun einmal auf dem Fuße folgen, können beide Parteien vor den allmächtigen Richtstuhl der Wahrheit treten und erhobenen Hauptes in ihren Parallelwelten verschwinden.

Bedenkt man, wie viel Ärger, Papierverschleiß, Diffamierung allein der deutschen Professorenschaft erspart geblieben wäre, wenn sich diese geniale Innovation bereits zwei Jahrhunderte früher zu Wort gemeldet hätte, wird man einer positiven Würdigung des Donald Trump zweifellos leichthändiger Beifall spenden als zuvor.

Dabei ist dies gewiss nur eines der kleineren Verdienste des Vielgescholtenen.

Hinzuweisen ist zum Beispiel auf sein Wirken für eine nüchterne Beurteilung unserer Wertewelt. Nicht wenige von uns sind bei der rituellen Anrufung unserer Wertegemeineschaft, bei der Aufzählung der „westlichen Werte“, denen wir uns verpflichtet fühlen, wie Freiheit, Sicherheit, Verlässlichkeit, Solidarität usw., davon ausgegangen, dass diese Werte tatsächlich, wenn auch nur „irgendwie“ existieren, dass sie nicht nur Traum- und Luftgebilde unserer Wünsche wären, sondern dass sie, wenn auch nicht körperhaft, so doch so real seien, dass man sich ihrem Anruf nicht ungestraft verweigern könne.

Seit aber Trump erstmalig gezeigt hat, dass man dies sehr wohl kann, dass man auf den energisch vorgebrachten Hinweis, pacta sunt servanda,
einfach mit Achselzucken reagieren kann, dass man Höflichkeit für Schwäche, Solidarität für Dummheit, Egoismus für Charakterstärke, Ehrlichkeit für Feigheit und Wissen für Zeitverschwendung halten soll, wenn man vor ihm und in seiner Welt bestehen will, seitdem sind unsere Wertedenker ins Grübeln gekommen. Sie haben bemerkt, daß der Wert eine jederzeit änderbare Vereinbarung ist und dass die Frage, ob die Vereinbarung hält oder nicht, eine Frage der Macht ist, was nichts anderes heißt, als dass der Wert die Macht braucht und nur gerade so viel wert ist, wie die Macht, die seine Proponenten besitzen.

Woraus wir lernen dürfen, dass, sobald einer anfängt – und um uns herum tun dies im Augenblick einige –, die „westlichen Werte“ als des Kaisers neue Kleider zu bezeichnen, wir uns beeilen müssen, weil sie es ja tatsächlich sind, den Kaiser umgehend warm anzuziehen, d.h., die Institutionen so zu stärken und die Macht so zu polieren und für die Werte so zu kämpfen, dass uns der Souverän nicht erfriert oder der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

Aber nicht nur die Kommunikation in Alltag, Wissenschaft und Politik hat von dem trompetenden Präsidenten aus Übersee profitiert. Auch in scheinbar so esoterische und den brötchenkauenden und Wasserflaschen schwenkenden Student*innen, den zahnlosen Rentnern und ihren Frauen sowie den christlichen Hausmüttern und ihren Männern in gleicher Weise gleichgültige Bezirke, wie die alteuropäische Erkenntnistheorie und ihre Parteiungen, ist der Enkel aus Kallstadt vehement eingedrungen.      

Worauf man erst aufmerksam wird, wenn man in der fabelhaften Wochenzeitung die ZEIT einen Aufsatz liest, in dem ein besonnener Vertreter des so genannten radikalen Konstruktivismus sich darzulegen bemüht, dass sein erkenntnistheoretisches Konzept für die exzentrische Unzuverlässigkeit des amerikanischen Präsidenten weder wegweisend noch kausal sei oder wenn ein prominenter amerikanischer Literaturwissenschaftler temperamentvoll „seinen“ Nietzsche von der Verantwortung für Trump freizusprechen versucht. Der Gegner, gegen dessen hämische Anschuldigungen die energischen Verteidigungsmaßnahmen gerichtet sind, ist ein den Konstruktivisten nicht eben wohlgesonnenes philosophisches Lager.

Das ist nun wirklich etwas Besonderes und sicher erstmalig in der deutschen Geistesgeschichte, dass ein verbreitet als ziemlich geistesarm geltender amerikanischer Präsident auserkoren wird, der Begründungsschwäche einer philosophischen Strömung abzuhelfen. Ganz unbekannt ist das Muster freilich nicht. Nietzsche für Hitler und Habermas für die RAF (mit-)verantwortlich zu machen und damit der eigenen Position eine aus eigener Kraft nicht gegebene Stärke zu verleihen, hat eine gewisse, rhetorisch begründete Tradition.

Die Bewegung, um die es hier auf der Klägerseite geht, hat bezeichnenderweise weniger einen originellen Namen als einen prominenten Gegner, nämlich den erwähnten Konstruktivismus, dessen namhaftestes Opfer, den Realismus, sie wiederbeleben möchte, weshalb die Anhänger dieser Richtung sich wohl gelegentlich als Neo-Realisten bezeichnen oder bezeichnet werden, wobei das „Neo“ oder „Neu“, wie immer, nicht etwa andeuten soll, dass etwas Neues geschaffen, sondern dass Abgelebtes wieder aufgefrischt wurde.

Michael HampeDiese Neo-Realisten also – gegenwärtig sind es im Wesentlichen, d.h. kopfzahlenmäßig betrachtet, drei: 1 Deutscher, 1 Italiener, 1 Schweizer (ein wunderliches Terzett westeuropäischer Hosenscheißer) – sind der ebenso irrigen wie felsenfesten Überzeugung, der Konstruktivist leugne, wenn er die „Wirklichkeit“ als ein Konstrukt bezeichne, das Vorhandensein von „Etwas“ überhaupt, verschließe seine Augen vor der doch handgreiflichen „Realität“, bestehe darauf, dass ALLES erfunden sei, wodurch dann folgerichtig auch ALLES ununterscheidbar würde: Faktum gleich Fiktion, Wahrheit gleich Lüge, Objektivität gleich Subjektivität – mit anderen Worten: der Konstruktivist predige die totale Beliebigkeit.

Etwas Festes braucht der Mensch, sagen die Pfaffen seit eh und je nicht ohne Grund und verweisen auf ihre Gottheiten. Der Neo-Realist könnte sich also an den dünnen Strohhalm seines Christenglaubens klammern oder zum Islam konvertieren, wo die Strohhalme, wie jeder sehen kann, noch Balken sind und ziemlich dicke obendrein.

Wem dieser Weg, warum auch immer, verschlossen ist, muss sehen, wo er bleibt. Er könnte immer noch versuchen, um sich nicht verzweifelt davon machen zu müssen, in der eisigen Luft der Sinnlosigkeit auszuharren und mit dem großen „Trotzdem“ oder dem weniger anstrengenden „Als ob“ über die Runden zu kommen.

Aber was machen die Neu-Realen?

Bibbernd vor Angst und Verantwortungslosigkeit prügeln sie auf den armen Nietzsche ein, obwohl dessen Sätzchen, „gerade Tatsachen gibt es nicht, es gibt nur Interpretationen“ ebenso wie das noch berühmtere „Gott ist tot“ nur in Worte fasste, was die Aufgeweckteren schon längst zu denken sich angewöhnt hatten.

Maurizio Ferraris
Alsdann flüchten sie in die Story von der Realität: Dort, ein bisschen fern, aber nicht allzu weit, die Welt, die Natur, die Objekte – hier: wir, der Mensch, das Subjekt. Subjekt erkennt Objekt und trennt das Subjektive vom Objektiven. So war es noch bei Kant. Und danach begann der Weg der Welt in den Kopf des Menschen. Erst sprach man nur davon, dass das Objekt am Erkenntnisprozess mitwirke, dann, dass es durch diesen mitbestimmt, zurechtgestutzt, geprägt werde, dann verankerte man die Farben, die Gerüche, die Bilder ins Auge des Betrachters und am Ende war die ganze Welt in Wahrnehmung und Konstruktion des Beobachters geschlüpft, so wie die Welt der Fliege schon immer in den Augen der Fliege und der Ameisenstaat in der Konstruktion der Formiciden steckt.

Das ist nun freilich schwer auszuhalten, ruht doch am Ende die ganze Last der Welt auf dem Individuum und in seiner Verantwortung – da hilft weder Beten noch Schimpfen. Weshalb es denn auch nur eine Frage der Zeit war, bis eine Gegenbewegung einsetzte und die ersten Jammerlappen damit begannen, sich die Realität wieder vor dem Kopf aufzubauen.

Analoge Argumente wurden entwickelt. In Deutschland bewaffnete man sich mit dem Holocaust, in Amerika griff man zum 11. September 2001. Der deutsche Knüppel ist offensichtlich der weitaus bessere. Man fragt: „Ist der Holocaust eine Konstruktion?“ und wenn der Konstruktivist dies bejaht, ist er als grundlagenleugnender Volksverhetzer und Antisemit entlarvt, was ein wesentlich schlimmerer Makel ist als er dem amerikanischen Konstruktivisten droht, wenn dieser das Ereignis „Nine Eleven“ als Konstruktion bezeichnet. Dann ist er lediglich ein unpatriotischer Zyniker – verächtlich, aber nicht kriminell.

Und was hat das jetzt alles mit dem in solchen Sphären offensichtlich nicht beheimateten Trump zu tun?

Nun, erst vor diesem Hintergrund entfaltet sich die richtige Sicht auf Größe und Wucht seiner Persönlichkeit.

Im Protestgeschrei des Neuen Realismus wird Trump als radikaler Konstruktivist enthüllt.

Fast beiläufig, wie seine Staatsgeheimnisse, gab der Präsident Wesentliches preis. Zum Klimawandel befragt, bekannte er: „we call it the weather“ und auf seinen „Irrtum“ aufmerksam gemacht, brüllte er „fake“, was zwar einerseits noch eine gewisse Unsicherheit in der Handhabung des konstruktivistischen Instrumentariums verriet, andererseits aber doch auch die selbstgewisse subjektivistische Realitätskonstruktion des klassischen Konstruktivisten zutage treten ließ.
Marcus Gabriel
Da wurde auch dem schwächsten Neo-Realisten klar, dass er, erkenntnistheoretisch betrachtet, vor einem adäquaten Gegner stand. Als solcher akzeptiert, hat Donald Trump auf Augenhöhe zu den Vertretern einer philosophischen Bewegung aufgeschlossen, die, mag sie dem Beobachter auch noch so belanglos und ephemer erscheinen, doch europäischen, professoralen Status besitzt.

Indem sie Ihren Gegner als akademischen Widerpart anerkannt hat, hat sie dem Kryptokonstruktivisten den Weg zu einem hochrangigen Outing geebnet. Erstmalig hat es damit ein Mensch geschafft, vom Immobilienhändler zum Philosophen aufzusteigen. Dass er dazu den Umweg über die Präsidentschaft der mächtigsten Nation der Welt benötigte, zeigt nur die Einzigartigkeit dieser Karriere.

Aber damit ist das Phänomen Trump noch nicht in seiner ganzen Tiefe erfasst. Trump IST nicht nur Konstruktivist – er verdankt auch seine Existenz als Präsident dem Konstruktivismus, dessen ungeheure Macht an dieser Stelle überdeutlich aufscheint. Denn, obwohl dies kaum begriffen werden kann: Trump wurde gewählt. Und zwar von Millionen Amerikanern. Weshalb es nichts verschlägt, dass auch Millionen Amerikaner behaupten, ihn nicht gewählt zu haben (was vielleicht fake history ist).

Wie war das möglich? Die Neo-Realos wissen es: die Konstruktivisten haben es versaut. Mit ihrer beharrlichen Leugnung der Wirklichkeit, ihrer Unterminierung der Objektivität, haben sie den Widerstandswillen der realistischen Amerikaner geschwächt (so hat – siehe Radbruch – einst der Positivismus die deutsche Justiz wehrlos gegen den Nationalsozialismus gemacht!!) und Ihnen alle Gewissheiten geraubt. Dadurch wurde der Wahlsieg möglich. Die Washington Post hat, so berichtet uns der glaubwürdige Bernhard Pörksen, Konstruktivist und Heinz von Förster-Anhänger, Trump als „selbstreferentielle Verkörperung des postmodernen Wahrheitskonzepts“ bezeichnet (natürlich auf Englisch).

Das ist gewaltig. Erstmalig, und dafür sollten doch auch die Alabasterköpfe (außen glänzend, innen bröckelnd) des Neorealismus dankbar in die Knie sinken, wurde ein menschliches Wesen von einem bedeutenden Journal als Verfleischlichung eines erkenntnistheoretischen Konstrukts angesehen. Angesichts dieses beispiellosen Ereignisses ist es naturgemäß völlig gleichgültig, dass es sich in ihren Augen um ein inakzeptables Konstrukt handelt. Der Vorgang als solcher eröffnet doch auch ihnen die Vision der Inkarnation. Erstmalig und vermutlich auch letztmalig.

Damit wäre gezeigt, dass jedenfalls für die Intellektuellen auf den Lehrstühlen, in den Redaktionen und auf den Bildschirmen der Zeitpunkt nahegerückt ist, zu dem man dem amerikanischen Präsidenten – erstmalig – mit einer gewissen Dankbarkeit begegnen könnte. Sie – die Dankbarkeit – muss ja nicht gleich in einen Kniefall ausarten und selbst für eine Huldigung wie sie einst die Kanzlerin dem W.Bush servierte ist es vielleicht noch ein bißchen zu früh. Aber ein bisschen üben könnte nicht schaden.
Dieter Simon