Wir möchten, dass „die wertkonservativen und marktliberalen Wurzeln der Unionsparteien im politischen Alltag erkennbar sind und in konkrete Politik umgesetzt werden.“ (Gründungsmanifest des Berliner Kreises, 2009)
Es muss ziemlich frustrierend gewesen sein. Wieder einmal nur Zweiter geworden. Dabei hatte man es doch auch gewusst, das, was in Brüssel gerade mit Donnerhall zum Klima und seinem (Nicht-)Wandel verkündet worden war und mit bizarrem Nonkonformismus die Welt in Aufruhr versetzt hat. Verkündet freilich von Donald Trump, dem habituellen Immer-Ersten, und ärgerlicherweise nicht vom Berliner Kreis, jenem lockeren Zusammenschluss der wirtschaftsaffinen CDU / CSU-Rechten. Der hatte sich schon lange über die Klimapolitik seiner Parteivorsitzenden im Allgemeinen und die von ihr propagierte Energiewende im Besonderen gegrämt und deshalb ein paar nützliche Gedanken zum Thema in der Schublade aufbewahrt.
Nur wenig früher (etwa einen Tag vor Brüssel) – und der illustre Kreis hätte mit seinen Klima-Thesen für einen echten Paukenschlag gesorgt. Vermutlich nicht von allen mit Genuss wahrgenommen – aber Pauke ist eben nicht Piccolo-Flöte. Es geht schließlich darum, gehört zu werden, und an Bundesgenossen würde es letztendlich auch nicht fehlen. In der Tat hatten sich laut NZZ von 3. Juni praktisch zeit- und nahezu inhaltsgleich die Schweizer Gesinnungsfreunde zu Wort gemeldet. Die Schweizerische Volkspartei (SVP), die schon im Nationalrat (vergeblich) gegen die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens gestimmt hat, sieht sich seit dem Diktum des GröPrAZ in ihrer Haltung bestärkt. Der Pariser Vertrag sei mit dem Ausscheiden der USA „obsolet“ geworden (sic!), seine Umsetzung „schädlich und sinnlos für die Schweizer Wirtschaft“ (SVP-Generalsekretär Gabriel Lüchinger).
Der Berliner Kreis hat die Chance, der schnellste CO2-Pate zu sein, versäumt. Das dürfte mit dem Umstand zusammenhängen, dass der Mut zum Paukenschlag erst noch zusammengekratzt werden musste. Denn die Große Vorsitzende blickt ohnehin mit gerunzelter Stirn auf den Zusammenschluss, hat einst sogar ihr Sprachrohr Kauder andeuten lassen, dass sich die Mitgliedschaft im Berliner Kreis zumal für Jungpolitiker als Karrierehindernis entpuppen könnte. Und ihre Klimapolitik mag sie sich schon gar nicht von den Bündlern vermasseln lassen. Also schien es klüger, den Paukenschlag noch ein bisschen hinauszuschieben, bis die deutsche Öffentlichkeit – im besten Fall von ständig steigenden Energiekosten entnervt – wieder Lust auf eine kritische Wende im Klimakonsens zeigen würde.
Zu lange gewartet. Die Show hat er ihnen nun gestohlen, der alte Entertainer aus Amerika. Und nachdem man nun weiß, dass es jemanden gibt, der den Klimawandel für eine Erfindung Chinas hält, um der amerikanischen Wirtschaft zu schaden, muss man alles daransetzen, die eigenen Ideen zum Klimakomplex schleunigst vor der frisch sensibilisierten Öffentlichkeit auszubreiten. Toppen lässt sich die China-Theorie zwar nicht mehr. Aber vielleicht doch das allgemein erwachte Interesse am Gegenstand für die eigenen Interessen nutzen. Wenn also 48 Stunden nach der Offenbarung aus Übersee und der universellen Fassungslosigkeit hierüber ein Positionspapier des Berliner Kreises zum gleichen Thema erscheint, ist das kein Zufall und allenfalls vordergründig erstaunlich. Und wer geglaubt hat, der Auftritt Trumps hätte bei jedem Menschen mit Geschmacksreserven den Wunsch geweckt, sich möglichst unähnlich zum Thema zu äußern, wird rasch vom Gegenteil überzeugt.
Denn die Argumente hüben und drüben gleichen sich nicht weniger als ihr Abstandsdefizit vom verfügbaren Faktenwissen – gerade so, als hätte der US-Präsident den Verfassern des Berliner Papiers seinen Merkzettel überlassen. Dies wäre allerdings, genau genommen, nur die zweitschlimmste der Möglichkeiten. Viel schlimmer und leider auch viel wahrscheinlicher ist die Vermutung, dass es sich nicht um ein Plagiat, sondern um die genuinen Überlegungen des Kreises selber handelt – gewissermaßen auf der Basis gemeinsamer Grundüberzeugungen. Und die lassen sich interlingual zusammenfassen: Wirtschaft first.
Trump hat es in Brüssel nur indirekt mitschwingen lassen, der Berliner Kreis betont es hingegen explizit – das ewige Leitmotiv der Ökonomisten: Weniger Staat und mehr Marktwirtschaft. Man könnte auch punktgenauer formulieren: Das glühende Verlangen nach mehr Beinfreiheit für Großkonzerne. Vor diesem Hintergrund ist kein Argument zu abgedroschen, zu ahnungslos, zu dreist, um nicht aus der Mottenkiste hervorgeholt und als neue Sachlichkeit präsentiert zu werden.
Da wird etwa darüber fabuliert, dass es Klimawandel („Eis- und Warmzeiten“) schon immer gegeben habe; wird auf das „mediale Narrativ“ (sic!) verwiesen, in dem Klima- und Wetterereignisse enggeführt und zur „Klimaangstmache“ benutzt würden; da ist unter der Überschrift „Keine moralische Erpressung“ davon die Rede, dass die von der Klimaforschung „modellierten Folgen des Klimawandels alles andere als bewiesen“ seien, während die Menschen die „realen Folgen bestimmter Klimapolitik“ (Energieverknappung, Mobilitätseinschränkungen, „Verspargelung von Kulturlandschaften“) längst zu spüren bekommen hätten; da wird schließlich der internationale Klimarat (IPCC) als „polit-medial-wissenschaftliche Supermaschinerie“ und als hinsichtlich seiner Objektivität und wissenschaftlichen Qualifikation weit überschätzter „Weltrettungszirkus“ gekennzeichnet, der seine Aktivitäten besser senken und seine Auftritte auf eine im 5-Jahresrhythmus stattfindende Arbeitskonferenz sowie einen im 10-Jahresrhytmus vorzulegenden Fachbericht beschränken möge. Wenn all´ diese nicht zum ersten Mal gehörten, aus seriösen Diskussionen aber längst verschwundenen Argumente plötzlich wieder aus der Versenkung auftauchen, dann schleicht sich beim Leser das beklemmende Gefühl ein, dass interessengeleitete Wissensverweigerung und hemmungsloser Einsatz alternativer Fakten keineswegs dem derzeitigen präsidial-amerikanischen Politikdiskurs vorbehalten sind.
Über all´ das kann man sich wundern. Darüber aufregen muss man sich nicht. Das demokratische Meinungsspektrum hat Unendlichkeitszonen, und auch wer glaubt, die Renten sind sicher und der Mond ist aus Käse, kann diese Auffassung im Windschatten des Grundgesetzes verbreiten, ohne wegen Dummheit sanktioniert zu werden. So mag der Berliner Kreis unerschrocken vertreten, dass die positiven Auswirkungen des Klimawandels „vermutlich sogar größer (seien) als mögliche negative ökologische Effekte“, und dafür das Beispiel des arktischen Meereises bringen, dessen Abnahme den professionellen Angstmachern zum Trotz kein Ansteigen des Meeresspiegels zur Folge habe.
Klar: Schmelzendes Eis im Wasserglas vermehrt schließlich auch nicht das Volumen, wie schon Archimedes lehrte.
Dass sich diese Erkenntnis nicht auf Meereis und Meeresspiegel übertragen lässt, ist heute in der Fachwelt herrschende Meinung. Für schmelzende Gletscher hat sie ohnehin nie gegolten. Das ist einer der Gründe, weshalb die Briten sich seit einiger Zeit brennend für den Klimawandel interessieren und die Regierung der Fidschi Inseln jüngst eine Kabinettsitzung in Taucheranzügen durchgeführt hat.
Die listige Freude, mit der die Verfasser des Kreis-Papiers die „positiven Effekte des Abschmelzens“ auflisten („eisfreie Nordpassage, neue Fischfangmöglichkeiten, Rohstoffabbau“), ist daher doch recht einseitig gegründet. Denn auch wenn die Briten London in das schottische Hochland verlagern und die Fidschis vom erwarteten Gewinn aufgekauft werden könnten, warten noch eine Reihe weiterer Probleme auf die in den Startlöchern hockenden Gewinnmaximierer. Denn unglücklicherweise ist die Arktis nicht nur von Eisbergen bewohnt. Die dort lebenden indigenen Völker, deren traditioneller Lebensstil vom Vorhandensein des Meereises abhängt, werden das positive thinking des Berliner Kreises hinsichtlich des Wegschmelzens ihrer Lebensgrundlage selbst dann nicht teilen, wenn man ihnen erklärt, dass sie doch auch vom Kreuzfahrttourismus leben könnten.
Und falls auch das nicht die Verfasser zum Umdenken animiert, mögen sie doch bitte an die traurigen Augen des letzten Eisbärbabys im Berliner Zoo denken, dem sein Wärter vor dem Einschlafen von den wilden Vorfahren erzählt, die einst in einem riesigen eiskalten Land in Freiheit lebten und denen Nordpassagen, Fischkutter und Rohstoffabbau herzlich gleichgültig sein konnten.
Regina Ogorek