GeschenkDienstag, 24.1.2017. Staatsakt. „Deutschland nimmt Abschied von Roman Herzog“.

Roman Herzog? Fast hatte ich ihn vergessen. Zuviele Halb- und Ganzbundespräsidenten haben sich seit seiner Amtszeit in mein Gedächtnis geschlichen. Rau, Köhler, Wulff, Gauck. Steinmeier kreist bereits ante portas. Roman Herzog?

Er sei ein „Geschenk für Deutschland“ gewesen, meint der noch amtierende Gauck. Er habe „uns Deutschen gut getan“ titelt die FAZ. Merkwürdig, dass ich davon nichts gemerkt habe. Ich bin doch auch ein Deutscher.



Sein bajuwarisches Gewitzel ging mir seinerzeit ziemlich auf die Nerven. Gauck überhöht dieses Markenzeichen des Verstorbenen zur „unbändigen Spottlust“.

Naja, man weiß, dass nirgendwo so viel gelogen wird wie auf Beerdigungen. Das gilt vielleicht auch für Staatsakte.

Herzog ließ aus allem Aufgeblasenen die Luft raus“ weiß Gauck noch zu berichten. Eine selbstreferentielle Übernahme dieses Habitus hätte dem Nekrolog des noch Präsidierenden gut getan.

Den „Sprachregelungen des Zeitgeistes“ habe er sich nie unterworfen. Das kann man sicher so sagen. Schließlich hatte weder vor noch nach ihm jemand so stilvoll nach einem „Ruck“ gerufen. Jetzt reden alle andächtig von der „Ruck-Rede“. Ob sie sich noch an mehr als an eben dieses erinnern?

Ich erinnere mich noch gut an Wolfgang Neuss. Der große Kabarettist hatte Erfahrung im Umgang mit Bundespräsidenten, wie seine unvergessliche Debatte mit Richard von Weizsäcker beweist. Bei der Ruck-Rede saß er irgendwo auf den vorderen Plätzen und schlief tief und fest. Die Kamera beeilte sich zwar, schnell weiter zu kommen, aber es war klar: Der „Ruck“ hat ihn nicht erreicht. Und auch sonst, meines Wissens, niemanden.

Schon seltsam, wie die Erinnerungen divergieren. Die politische Klasse hat die ihren, die Anderen haben andere.

Ich erinnere mich auch gut an den blassen, übergewichtigen Assistenten von Theodor Maunz. Wie er servil hinter dem agilen Maunz, dessen Tasche tragend, im Münchener juristischen Seminar hin und her und die Treppen hoch eilte, keuchend und schwitzend.

Ich erinnere auch, wie wir, gleichaltrig, eine von Knut Wolfgang Nörr organisierte Veranstaltung besuchten, die den rechtshistorisch interessierten Assistenten der juristischen Fakultät eine belastbare Vorstellung vom Corpus Iuris Canonici vermitteln sollte. Die mühsame Handhabung des christlichen Codex, dessen kritische Nutzung geduldiges Suchen und eifriges Blättern voraussetzt, war ganz und gar nicht nach dem Geschmack des Unverkrampften.

Hier muss man zuviel bladln“ (ein Hochdeutscher hätte gesagt:"blättern"), stellte der Assistent Herzog fest und verschwand. Ganz unverkrampft. Eine Eigenschaft, die den Nachrufschreibern ein überschäumendes Lob wert ist. Vermutlich haben sie vergessen, daß es sich bei dem "unverkrampften Umgang" (mit dem NS), um den ersten großen stilistischen Wurf des tüchtigen Bayern handelte, geschmackvoll ausgeführt in seiner bundespräsidialen Antrittsrede vom Mai 1994. Wen wundert es, wenn man die verkrampften Vorgänger und Nachfolger des Gepriesenen ins Auge fasst.

Er war ein guter Assistent, schrieb eifrig in und unter dem Namen seines Lehrers Texte für den hinlänglich berühmten Grundgesetzkommentar (Maunz-Dürig). Schwieg vornehm, auf die Nachfrage der Spötter, wie groß denn der Anteil des Maunz an der Kommentararbeit sei. Schwieg auch, als Maunz posthum als Kumpel und Freund des Altnazis Gerhard Frey enttarnt wurde, dem Eigentümer der Deutschen National- und Soldatenzeitung, dessen Schundblatt der Kommentator des Grundgesetzes anonym mit rechtsradikalen Kolumnen versorgte.

Viel später gab er Knappes zum ersten und zweiten Komplex zum Besten. „Die Landesfarben“ (Art.22, Abs. 2 GG), meinte er, habe Maunz wohl allein bearbeitet und „ich bin enttäuscht“, sagte er auf die Frage, was er wohl von der fortgesetzten NS-Schriftstellerei seines Lehrers bemerkt habe.

Er war eben ein guter Jurist (das sagt auch Voßkuhle). Tief im Humanismus, der bekanntlich vor gar nichts schützt (Alfred Andersch), eingewurzelt. War des Lateinischen immer noch grandios mächtig. Deshalb erinnert sich Wolfgang Schäuble auch mit Freude, dass der Bildungsminister Roman Herzog eine gymnasiale Lateinarbeit mitschrieb und eine 1 erhielt.

Ich dagegen erinnere mich mehr an den baden-würtembergischen Innenminister, den kalten Schrecken aller Linken und Liberalen, den harten Apologeten eines starken Staates und einsatzfreudigen Polizeiminister, dem geballte Wut entgegenschlug, welche Schäuble heute im freundschaftsmilden Abendlicht dahingehend interpretiert, dass der Schreckliche „als Konservativer kritisiert“ worden sei.

So ist das mit den Erinnerungen. Sogar bei Geschenken hat sich jedem ein anderer Aspekt eingeprägt. Und bei manchen nicht einmal der, dass es sich um ein Geschenk gehandelt hat.


Dieter Simon