Zu: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 16. 10. 2011, Nr. 41, S. 54

Melanie Amann: Im Namen des Volkes.

Vor Gericht sind alle gleich. Die Richter garantieren, dass das Privateigentum geschützt wird.

Wie man in kürzester Zeit arm wird, hat uns die Finanzkrise gelehrt: Man muss nur dem Bankberater glauben und nach seinen Ratschlägen handeln. „Wie wir reich wurden“ sagt uns hingegen die FAZ jeweils am Sonntag. In vielen Folgen (www.faz.net/reich [am 19.10.2011]). Es war offenbar deutlich komplizierter als arm zu werden.

Melanie Amann, Mitglied der Wirtschaftsredaktion der FAZ, hat letzten Sonntag die Folge 102 [sic!] dieser Rubrik mit der Idee gestaltet, reich werden könnte etwas mit funktionierenden Gerichten zu tun haben. Starke These. Plausibel genug, sie einfach in den Raum zu stellen und sich dann weniger komplexen Dingen zuzuwenden. Unglücklicherweise hat die Autorin diesen Weg nicht gewählt, sondern Begründungen zunächst in der Rechtsgeschichte gesucht, um dann, recht unvermittelt dafür aber umso selbstsicherer, das Gebiet der Ökonomie zu betreten: Mikro-Makro!




Als ersten Beleg für den vermuteten Zusammenhang bietet die studierte Juristin eine verniedlichte Form des legendären Streits zwischen Friedrich dem Großen und dem Müller von Sanssouci an. Das Kammergericht von Berlin spielt darin bekanntlich die Heldenrolle; nach der Autorin: „…ein zu schönes Beispiel dafür, wie wichtig eine unabhängige Justiz für den Schutz der bürgerlichen Freiheiten und Eigentumsrechte ist.“ Als weitere Früchte rechtshistorischer Schulung betreten noch der Lübecker Oberhof kurz die Bühne (13. Jh.; 1 ½ Zeilen), außerdem die Gründung der Universitäten: „…jetzt konnten Juristen für den Richterberuf ausgebildet werden, wodurch die Bürger noch eher bereit waren, ihre Konflikte nicht unter sich auszutragen(seit dem 14. Jh.; 3 Zeilen), und endgültig war die blutige Streitkultur unserer Altvorderen mit der Gründung des Reichskammergerichts besiegelt (Ende 15. Jh.; 2 Zeilen). Danach herrschte dann das nötige Vertrauen.

Vertrauen? Worauf? Dass wir mit Hilfe der Justiz reich werden? Ja tatsächlich. Die „wohlstandsfördernde Wirkung“ funktionierender Gerichte erreicht den „Marktteilnehmer“ an allen Ecken und Enden (sogar beim „internationalen Standort-Ranking“). Er muss weder “die eigenen Fäuste“ noch die „Hilfe tatkräftiger russischer Inkasso-Büros“ in Anspruch nehmen, um zu seinem Recht zu gelangen. Denn seit ca. 1495 (→Reichskammergericht) hat er ja Grund zu vertrauen und damit die Freikarte zum ökonomischen Glück. Durch bloßes Sein sichert nämlich die Justiz den „sozialen Aufstieg: Ihre Existenz ermutigt Banken und Investoren erst dazu, Kredite zu vergeben. Sie wissen, dass sie im Notfall mit Mahnbescheid und Gerichtsvollzieher gute Chancen haben, schnell an ihr Geld zu kommen.

Banken und Investoren? Da war doch was! Mahnbescheid und Gerichtsvollzieher? Wer soll denn hier eigentlich reich werden? Rechtsstaat und unabhängige Justiz, damit die Banken mit gemindertem Risiko Kredite geben? Was die zahllosen Kreditnehmer, die in jüngster Zeit zwar nicht den Gerichten, wohl aber ihren Banken vertraut haben, und die, eh´ sie sich´s versahen, um Hab und Gut gebracht waren, wohl von dieser Perspektive auf die Justizfunktion halten mögen? Vermutlich wenig. Um den ökonomischen Nutzen einer unabhängigen Justiz plausibel zu machen, bräuchte es schon einiger anderer Argumente als sie das Amannsche Westentaschenformat des Manchesterkapialismus hergibt. Und den Müller von Sanssouci braucht es in diesem Kontext schon ganz und gar nicht.

[RO]