Vgl. SPIEGEL-online, 28. 10. 2011, Anwälte für Verfassungsbruch 

Rechtsanwälte haben es schon immer schwer gehabt, andere von ihrer Untadeligkeit zu überzeugen. Friedrich Wilhelm I hat seine diesbezügliche Abneigung in einer berühmten Kabinettsorder von 1726 verewigt, die noch heute in der Kleiderordnung ihre Spuren zeigt : Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, dass die Advocati wollene schwarze Mäntel …zu tragen haben, damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennt.

  Es ist offensichtlich: Der Soldatenkönig hatte für Rechtsanwälte nicht viel übrig. Und der SPIEGELonline-Redakteur Fabian Reinbold scheint diese Einschätzung zumindest mit Blick auf die Anwälte der bekannten Stuttgarter Großkanzlei Gleiss Lutz zu teilen. Diese Kanzlei hatte Ende Oktober vor dem Bundesverfassungsgericht für zwei wackere SPD-Abgeordnete eine einstweilige Anordnung erstritten, aufgrund derer vorerst verhindert wird, dass über den Einsatz des sogenannten Euro-Rettungsschirms (EFSF) anstelle von Haushaltsausschuss oder Parlament ein9-köpfiges, geheim tagendes Sondergremium entscheidet. Soweit so gut, sagt Reinbold, aber dieser strahlende Sieg für die Demokratie ist offenkundig Unwürdigen zuteil geworden. Hatte doch, wie der Chronist unerbittlich erinnert, die nämliche Kanzlei seinerzeit„einem kleinen Zirkel um den damaligen Landeschef Stefan Mappus geholfen, sich um die Mitsprache des Parlaments herumzutricksen - und so der CDU-geführten Regierung, so urteilte der Staatsgerichtshof in Stuttgart, bei einem lupenreinen Verfassungsbruch assistiert.“

Hat Reinbold da alles richtig gelesen? Haben die Stuttgarter Richter wirklich etwas von anwaltlicher Assistenz zum Verfassungsbruch gesagt? Doch wohl kaum! Eher handelt es sich bei dem Reinbold´schen Votum um die wohlfeile, gleichwohl aber abwegige Umdeutung des Richterspruchs durch jemanden, der irrigerweise der Meinung ist, ein Anwalt müsse bei Rechtsberatung oder Prozessvertretung seine eigene Rechtsauffassung (vielleicht sogar das wahre Recht) vertreten. Und daran auch in anderen Fällen festhalten. Das ist jedoch ein grobes Missverständnis der Anwaltsfunktion. Das wahre Recht gibt es nicht, und die Meinung des Anwalts ist gleichgültig. Nach beidem ist nicht gefragt.  Vielmehr hat der Rechtsanwalt das Begehren des Klienten daraufhin zu prüfen, ob und wie es sich im Rahmen der Rechtsordnung darstellen lässt. Sein Geschick besteht darin, (selbst in wenig aussichtsreichen Fällen) Argumente zu finden, die den jeweiligen Adressaten (z.B. den Staatsgerichtshof) zu überzeugen vermögen. Leitlinie dabei ist das Parteiinteresse, dem er aufgrund seiner Professionalität die Form einer möglichst unabweisbaren Rechtsposition zu geben hat. 


Im Mappus-Fall war es dann doch nur eine äußerst schwache Rechtsposition, die der Staatsgerichtshof mit guten Gründen - Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip - in der Luft zerrissen hat. Daraus folgt nun aber nicht, dass sich die Anwälte, die in diesem Fall versucht hatten, zu Gunsten ihrer Mandantschaft und zu Lasten des Parlaments ein Notregierungsrecht zu konstruieren, damit die moralische Basis entzogen haben, in einem anderen Fall erfolgreich für die Abgeordnetenrechte zu streiten. Vielmehr hatten sie dem Gericht im ersten Fall eine Deutung geliefert, der die Richter nicht folgten, im anderen Fall (EFSF) ist ihr Interpretationsangebot hingegen vor Gericht - jedenfalls für´s erste - erfolgreich gewesen. 


Wenn nun also Reinbold beklagt, dass der Sieg im EFSF-Fall von einer Anwaltskanzlei errungen wurde, "die erst kürzlich auf beispiellose Weise die Mitspracherechte eines Parlaments ausgehebelt hatte", so wird hier nicht anwaltliche "Trickserei", sondern nur Ahnungslosigkeit des Berichterstatters dokumentiert. Anwälte - selbst wenn sie es wollten - hebeln nicht, sondern argumentieren. Getoppt freilich wird die Vorstellung vom hebelnden Anwalt durch die bizarre Äußerung des Baden-Württembergischen Finanzministers, der (so jedenfalls wird er von Reinbold zitiert) über eine Schadensersatzklage gegen die Kanzlei nachdenkt und dies mit der Überlegung begründet, "schließlich habe die beratende Kanzlei ,an dem Deal' gut verdient." Hoffentlich hat der Minister gute Anwälte, die in der Lage sind, seiner Klage aussichtsreichere Argumente mit auf den Weg zu geben. Sonst wären die neuerlichen Prozeßkosten rausgeworfenes Geld.