Gastbeitrag von Rafal Szala
Frankfurt und die Rechtspolitik – ein Kommentar

Frankfurter Tag der Rechtspolitik 2011 – Strafprozess in der Mediengesellschaft

Der diesjährige Frankfurter Tag der Rechtspolitik war ein Erfolg. Das suggeriert zumindest die Anzahl der Zuhörer. Ein zeitgemäßes Thema sowie drei prominente Referenten: der emeritierte Professor und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer, die ZEIT-Journalistin Sabine Rückert und der Rechtsanwalt Rainer Hamm sorgten für einen vollbesetzten Saal. Stehende Zuhörer sind ein seltenes Kompliment für die Vortragenden. Sie alle kamen, um sich über Rechtspolitik zu informieren.

Rechtspolitik bedeutet Gesetzgebungsarbeit. Legislatorische Lösungen setzen aber ein klares Verständnis der Herausforderungen und Probleme voraus. Hierzu können Veranstaltungen wie das Frankfurter Symposium etwas beisteuern. Ob die Vorträge der Referenten zu einem besseren, tieferen Verständnis des Komplexes Medien und Strafprozess beitragen konnten, muss mit Blick auf die überzogene Kritik an den Medien angezweifelt werden.

Das Thema „Strafprozess in der Mediengesellschaft“ hat es in sich: Der Fall Kachelmann ist allen noch gut in Erinnerung. Oder Julian Assange – für diejenigen, die es international mögen. Andreas Türk, Nadja Benaissa, Klaus Zumwinkel und Boris Becker. Die Liste ließe sich verlängern. In all diesen Fällen stellte sich die Frage nach der Rolle der Medien im Strafprozess. Vorverurteilung oder Gewähr von Prozessgarantien? Unzumutbarer Druck auf Richter und Staatsanwälte oder notwendige Disziplinierung bei der Wahrheitssuche im Prozess? Mediale Berichterstattung als Verwirklichung der Gerichtsöffentlichkeit und Errungenschaft des bürgerlich-liberalen Staates oder vielleicht doch nur als Entartung der Konsumgesellschaft? Das Recht stellt sich dar und wird dargestellt. Dabei vermag niemand die Grenze zwischen der Notwendigkeit der Publizität und der Intimsphäre Prozessbeteiligter im Medienzeitalter zu ziehen.

Die Vortragenden standen für drei unterschiedliche Perspektiven: die des Gerichts, der Medien und der Anwaltschaft. Ohne die Vorträge im Einzelnen auf ihre Thesen und Gehalte abzuklopfen, soll im Folgenden auf das allen Reden gemeinsame Moment eingegangen werden: die harsche Kritik an den Medien. Den Anfang machte Winfried Hassemer und erfüllte die Erwartungen all derer, die auf klare Worte hofften. Die Darstellung der Justiz in den Medien sei verzerrt. Eine deutliche Mehrheit aller Pressemeldungen betreffe das an der Zahl der Fälle gemessen nicht hervorstechende Strafrecht. Und von diesen Meldungen entfielen etwa 90 Prozent auf aggressive Blutberichte. Die Analyse des Tatbestandes oder die Plausibilisierung der Urteile seien – sofern überhaupt angestrebt – allenfalls zweitrangig. Harte Worte aus dem Munde des emeritierten Vize-Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Und damit nicht genug: Von Sabine Rückert erfuhr das Publikum, dass den meisten Gerichtsjournalisten jede Sachkenntnis zur Berichterstattung über Rechtsthemen fehle.

Medienschelte geht uns Juristen – Richtern allzumal – leicht von der Zunge. Zu leicht vielleicht, bedenkt man die Sensibilität unseres Berufsstandes angesichts von Hinweisen auf eigene Unzulänglichkeiten. Die Kritik an den Medien, die am Frankfurter Tag der Rechtspolitik beharrlich vom Rednerpult donnerte, war nicht nur besonders scharf, sie zielte auch auf die falschen. Sie ignorierte die Tatsache, dass Informationen und deren Aufarbeitung Produkte sind, die tagtäglich auf dem Markt um Abnehmer kämpfen. Die Leserschaft aber ist es, die mit ihrer Entscheidung am Kiosk eine Wahl trifft und die Medien so im Sinne ihrer Vorlieben und Erwartungen konditioniert. Die Presse ist so seriös oder unseriös, so reißerisch oder moderat, wie es ihre Leser haben wollen. Die Kritik ist also nicht als eigentliche Kritik an den Medien, sondern als Kritik an der Gesellschaft zu verstehen. Zu bedauern sind nicht der reißerische Ton, die tendenziösen Berichte und die Vorverurteilungen der Zeitungen mit den großen Buchstaben, sondern vielmehr, dass so viele diese Blätter anderen Formaten vorziehen und ihre Auflagen in die Höhe treiben.

Sich diesem Grundproblem zuzuwenden hätte bedeutet, die originären Erwartungshaltungen der Menschen mit Blick auf die Justiz soziologisch und psychologisch zu untersuchen und nach ihren Ursprüngen zu fragen. Und vielleicht wäre auch das nicht genug – man hätte diskutieren müssen, ob der Leser und Zuschauer wirklich informiert und nicht doch eher unterhalten werden will. Diese Grundsatzfragen hätten andere Kompetenzen erfordert als die eines Richters, einer Journalistin und eines Anwalts. In der Kritik der Vortragenden zeigte sich aber die Lust an der einfachen Wahrheit – das Ausholen und Losdreschen. So, dass es jemanden trifft, der es erträgt, und dass es die Leute … unterhält. Keine diffizilen Theorien – mehr die Freude am Konsens mit den Zuhörern. Dieser Ansatz spiegelte auf verstörende Weise den error fundamentalis der Kritik wider. Wie die Presseorgane bedienten auch die Vortragenden mit ihren Beiträgen ein Vorurteil der Zuhörer. Sie stellten dem Publikum keine Aufgabe, nahmen es nicht in die Pflicht, sondern verorteten die Notwendigkeit des Umdenkens und der Veränderung bei der Instanz Medien. Alle Versammelten durften aufatmen.

Handlungsbedarf bestehe für Juristen nicht, konstatierte Winfried Hassemer am Ende seines Vortrags. Gegenüber den Medien sei man ohnehin machtlos, das wisse er schon durch die zahnlosen Berichte des Presserates. Die Justiz bewähre sich auch so in der Informationsgesellschaft – sie habe ihre „geheimen Zonen“. Geheime Zonen! Der Begriff fiel erst am Schluss des Vortrages. Zu einem Zeitpunkt, als das Mikrophon die sich altväterlich an Satzenden senkende Stimme Hassemers kaum noch verständlich machen konnte. Und doch hätte dies der Nukleus eines neuen, frischen Gedankens sein können – hier sprach der Justizpragmatiker Hassemer. Der feinsinnige Beobachter der Rechtsrealität, der die Augen nicht verschließt vor den Aporien des Rechts. Wie ließe sich dieses Phänomen mit dem Transparenzgebot der Demokratie vereinbaren? Dienen die „geheimen Zonen“ einzig der Effizienz der Justiz oder sind sie auch für die Freiheitlichkeit und Demokratie des Staatswesens notwendig? Hätte Hassemer nicht darüber sprechen können, dass die Justiz sich solche Räume immer erhalten, wenn notwendig auch schaffen wird und was daraus folgt? Geheime Zonen! Hassemer irrt nicht. Es gibt sie. Die Justiz braucht sie. Was lernen wir aus dieser Beobachtung über das Recht? Was über den Richter? Alles interessante Fragen über die Justiz und unser Gemeinwesen, auf die der Redner nicht mehr zu sprechen kam.

Winfried Hassemer bedankte sich stattdessen bei den Zuhörern, die artig applaudierten. Was der Vortragende am Ende anklingen ließ, hätte den Rahmen des Themas „Medien und Strafprozess“ möglicherweise verlassen oder ungebührlich erweitert. Es hätte aber das Potenzial gehabt, die Diskussionsbasis zu erweitern, für ein tieferes Verständnis des Problems zu werben. Das so zahlreich erschienene Publikum hätte es nicht durchweg verstanden. Dies wäre aber tatsächlich ein Beitrag zur Rechtspolitik gewesen.