Zu Philip Plickert:  Roger Köppel - Auf Angriff gebürstet (FAZ Nr. 18 vom 21./22.01.2012).

  Die FAZ hat es am letzten Wochenende unternommen, ihren Lesern einen Mann nahezubringen, von dem unterstellt werden darf, dass er bisher nicht im Zentrum des hiesigen Interesses stand: Eine volle Seite zierlichster Bewunderung für den „umstrittensten Journalisten der Schweiz“ Roger Köppel, und nicht wenig Werbewirksames für das von ihm verlegte und redigierte Blatt "Weltwoche". Nun ist nicht das mindeste dagegen einzuwenden, dass man hier etwas über die Medienlandschaft im Nachbarland erfährt, und "umstrittenste" Köpfe verdienen ohnehin unsere besondere Aufmerksamkeit. Schön wäre es allerdings gewesen, wenn sich das von FAZ-Wirtschaftsredakteur Philip Plickert (Jahrgang 1979) liebevoll gezeichnete Porträt auf eine einigermaßen sorgfältige eigene Recherche gestützt hätte. Auf diese hat der Autor jedoch offenbar verzichtet. Stattdessen wird exakt die Sichtweise übernommen, die Köppel selbst – wo immer sich eine Plattform bietet (penetrance for variance) – über Köppel und seine "Weltwoche" verbreitet. Dem Konsumenten Schweizer Medien ist sie sattsam vertraut. Dass nun aber auch der FAZ-Leser zum Adressaten dieser penetranten Selbststilisierung gemacht wird, ist das zweifelhafte Verdienst von Plickert, was immer ihn dabei geritten haben mag.

Geradeso, als hätte es Köppel ihm in die Feder diktiert, beschreibt er seinen Mann als eine Art Daniel in der Löwengrube. Die Löwen sind die restlichen Schweizer Journalisten, unter denen sich "Weltwoche"-Schreiber Köppel als Einzelkämpfer zu behaupten hat. "Wir sind der Stachel im Fleisch der ganzen medialen Szene" zitiert Plickert seinen Helden. Die Aussage soll man so verstehen, dass Köppel aufdeckt, was die anderen nicht aufdecken, und zwar aus ideologischer Verblendung: Das liest sich im O-Ton Köppel so: „Ist ein Journalist nicht links, muss er entweder krank, gekauft, ferngesteuert oder auf andere Weise defekt sein“ – oder aber er muss Köppel heißen, darf man getrost die Darstellung ergänzen. Denn der ist gewiß nicht links und nach eigener Überzeugung wohl auch nicht krank, gekauft oder ferngesteuert. Einfach nur mutig; einer, der die harte Wahrheit ausspricht und weder Widerstand noch Folgen scheut. Und, wie  Plickert ergänzt, durch Angriff nur angespornt wird, „noch mehr gegen den Mainstream zu schwimmen“.

Heilige Einfalt. Den Schweizern kann man ja vieles nachsagen, aber sicher nicht eine Kulturdominanz des Linksliberalismus. Hat der FAZ-Mannschon einmal etwas von der NZZ gehört? Tolle Zeitung, aber "linksliberaler Mainstream"?? Vom Schweizer Fernsehen?? Häufig langweilig, aber sicher nicht links. Sonst wäre auch kaum zu erklären, weshalb Köppel dort so häufig zu Worte kommt. Denn dieser ist weder links noch liberal, falls man nicht für sein ökonomisches catch as catch can und sein Nachtwächterstaatsideal diesen Begriff mißbrauchen möchte. Hingegen deuten seine Positionen unübersehbar auf eine partielle Realitätsverweigerung hin oder auf einen so gewissenlosen Opportunismus, dass, um der schrillen Schlagzeile willen, der journalistische Anstand im Papierkorb verbleibt.

Nehme man eine beliebige "Weltwoche" zur Hand - man trifft auf sonderbare Feststellungen: Mitglieder der Schweizer Regierung werden bevorzugt als Totengräber der Demokratie apostrophiert, die staatlichen Institutionen als Würgeeisen des Schweizer Volkes. Die Kernaufgaben des Staates werden auf Justiz, Polizei und Armee reduziert; (soziale) Gerechtigkeit und Wohlfahrt finden sich abschließend aufgehoben in der sich selbst herstellenden (Wirtschafts-)Ordnung der frei agierenden und vom Staat nicht behinderten Individuen. Vielleicht liegt hier ja der mysteriöse Reiz auf unseren FAZ-Journalisten begründet, der vor nicht langer Zeit mit einer Arbeit über den Neoliberalismus promoviert wurde und offenbar zu denen gehört, die diesen Ansatz nicht überholt finden.
 

Doch Köppel hat noch viel mehr zu bieten. Seine staatsfeindliche und wirtschaftsfreundliche Grundhaltung wird bizarr angereichert mit Ausfällen gegen die gesamte politische Klasse ("die da oben"), gegen Steuern und Subventionen, Sozial- und Asylmissbrauch, Ausländer und  Kriminalität (vor allem natürlich kriminelle Ausländer), Entwicklungshilfe, Feminismus und die Bedrohung durch den Islam (während der Minarettinitiative titelte die Weltwoche mit einem Bild von Burka-gekleideten Frauen, die die Form von Raketen hatten). Überall wird Angriff und Verrat gesehen, sowie der generelle Versuch, das „Schweizer Volk“ von innen und/oder außen zu überrollen oder - kaum weniger schlimm - zum Teilen zu zwingen.

Und überall wird enthüllt. Von Köppel. Vor dem Hintergrund der Verhältnisse in der Schweiz ergibt dies ein recht krudes Weltbild, das zwar im Meinungsspektrum nicht unbedingt stört, aber doch den einen oder anderen kritischen Blick des Berichterstatters vertragen hätte. Dies schon deshalb, weil fast alle Standpunkte des selbsternannten Stachelträgers eins zu eins-Übersetzungen der Parteilinie der Schweizerischen Volkspartei (SVP) darstellen, die es unter der Führung des Rechtspopulisten Christoph Blocher vermochte, ihre Wählerschaft über Jahre hinweg mit Angst- und Neidparolen aufzurüsten und schließlich zur stärksten politischen Partei der Schweiz (gegen 30 %) zu avancieren. Die Aura des unabhängigen Fackelträgers ist also in Wahrheit bloßer Parteimief.
 

Was aber erfährt man darüber im FAZ-Porträt? Nicht das mindeste, weil dessen Autor sich gar nicht um eine eigene Verortung bemüht. Dabei wäre es so leicht gewesen. Denn wie man dem FAZ-Artikel entnehmen kann, hat Köppel auch nicht darauf verzichtet, seinem Bewunderer von der Heldenrolle der Weltwoche in der sogenannten Affäre Hildebrand zu berichten. Und auch das übernimmt die FAZ peinlicherweise dankbar. Hätte der Autor doch nur kurz gegoogelt, so hätte er leicht feststellen können, dass die Affäre Hildebrand längst zur Affäre Weltwoche mutiert ist. Die erhobenen Insidervorwürfe gegen den Notenbankpräsidenten waren nichts anderes als eine auf gestohlenen, zusätzlich manipulierten und dann - zumindest grob fahrlässig - falsch interpretierten Bankdaten aufruhende Journalistenphantasie. Ein - dem Aktienrecht vergleichbarer - Insidertatbestand mit Blick auf die Nationalbank existiert aus guten Gründen nicht. Ebensowenig ein internes Reglement, dass den Migliedern der Notenbank den Ankauf von Devisen verbieten würde. Dass Hildebrands Frau, eine Amerikanerin, Dollar gekauft hat, war rechtlich unangreifbar, wurde aber mit erheblicher journalistischer Bösartigkeit in eine Skandalgeschichte umgestrickt. Da die  Vorwürfe von Schmähungen (Gauner/Lügner/Spekulant etc.) begleitet waren, dürften sie für die "Weltwoche" noch peinlich (im alten Sinne des Wortes) werden, zumal die betroffene Bank wegen des Bruchs des Bankgeheimnisses durch den Informanten Strafanzeige erstattet und wegen der erkennbar entstellenden Berichterstattung den Presserat eingeschaltet hat. Insofern war es zwar korrekt, darauf hinzuweisen, dass es Köppels Blatt gelungen ist, mit dem sog. Enthüllungsartikel ein Medienspektakel loszutreten, das schließlich zum Rücktritt des Notenbankchefs führte. Da es aber inzwischen auch dem letzten Beobachter klar geworden sein dürfte, dass der Regelverstoß nicht bei Hildebrand, sondern bei den Informanten der "Weltwoche" und sonstigen Zuträgern lag (ausschließlich übrigens SVP-Mitglieder), ist der dadurch erlangte Ruhm genau von der Art, wie es diese Sorte von Journalismus verdient. Schade, dass Philip Plickert von all dem nichts geahnt hat.