Frank Schirrmacher hat vor ziemlich genau einem Jahr für das Feuilleton der FAZ ein bemerkenswertes Interview geführt. Sein Gesprächspartner war Mohammed Waheed Hassan, hochrangiger Politiker der Malediven, und der Leser erfuhr – verblüfft und irgendwie gerührt – dass sich in dem kleinen südasiatischen Staat seit einiger Zeit schier Unglaubliches zutrug.

Bis vor wenigen Jahren war die Inselrepublik eine islamische Diktatur saudiarabischen Zuschnitts gewesen. Vor dem Hintergrund erheblicher Unruhen in der Bevölkerung gelang es 2008, die ersten freien Mehrparteienwahlen zu organisieren und den seit 30 Jahren autokratisch regierenden Präsidenten Maumoon Abdul Gayoom abzuwählen. Sein Nachfolger wurde der Journalist und Bürgerrechtler Mohamed Nasheed, der – nach langer Leidenszeit in den Kerkern des vormaligen Diktators – antrat, um seine Präsidentschaft für demokratische Reformen zu nutzen. Seitdem erlebte das Land eine Art politischen Frühling, um den sich denn auch das FAZ-Interview vom 9. 2. 2011 dreht.

Der Interviewpartner, Mohammed Waheed Hassan, Jahrgang 1953 und seit dem Machtwechsel mit dem Amt des Vizepräsidenten betraut, sieht sich zu Recht als einen der Väter dieser Entwicklung. Im Gespräch mit Schirrmacher beschreibt er sich als jemanden, der in den siebziger Jahren als UNO-Stipendiat das westliche Bildungssystem durchlaufen und dabei die Werte der Aufklärung achten gelernt habe. Das Leben als Mensch, so seine Einsicht, sei nur dann lebenswert, wenn dieser frei denken und sich frei ausdrücken dürfe. Genau das wollte er gemeinsam mit dem Präsidenten Nasheed (laut Waheed Hassan „ein Held“) nun in seiner Heimat verwirklichen („vom Obrigkeitsstaat zur Demokratie“).

Wichtigster Impulsgeber für den neuen Weg war nach Waheed Hassans Zeugnis kein Geringerer als Jürgen Habermas, mit dessen Schriften sich der Student in Stanford auseinandergesetzt und dessen politische Hermeneutik er schließlich zum Gegenstand seiner Dissertation gemacht hatte. „Von Habermas lernen heißt Demokratie lernen“ lautete das Fazit des gelehrigen Schülers, und mit Blick auf den Islam und seine Vereinbarkeit mit den Botschaften der Aufklärung: „Damit eine Demokratie gelingen kann, muss man den Menschen erlauben, die kulturellen Werte zu hinterfragen.“

Seit einer Woche ist nun offensichtlich genug hinterfragt. Die alten Eliten um Ex-Präsident Gayoom bereiten sich auf die Wahlen von 2013 vor, und das Motto lautet: Was 2008 geschah, darf sich nicht wiederholen. Islam? Bis zum letzten Atemzug! Demokratie? Nein Danke! Polizei und Armee sollen für die Wiederherstellung der schönen alten Welt sorgen.

Und genau das haben sie getan. Am 7. 2. 2012 besetzten sie das Staatsfernsehen und zwangen den Präsidenten Nasheed mit vorgehaltenen Waffen eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben und diese später im Fernsehen zu veröffentlichen. Eine friedliche Demonstration seiner Anhänger am folgenden Tag, an der auch der neue Ex-Präsident teilnahm, wurde gewaltsam aufgelöst, Nasheed unter Misshandlungen verhaftet (angeblich hatte man einen von ihm georderten Wagen mit 100 Flaschen Alkohol abgefangen).

Schon wenige Stunden nach dem erzwungenen Rücktritt wurde ein neuer Präsident vereidigt. Armeesprecher Abdul Raheem Abdul Latheef erklärte vorsichtshalber, es handle sich bei dem Machtwechsel „absolut nicht“ um einen Staatsstreich.

Auch der neue Präsident verwahrte sich entschieden gegen eine solche Deutung. Sein Name: Mohammed Waheed Hassan. Ob er Habermas nicht vielleicht doch falsch verstanden hat?